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Lavendel und Blütenstaub

Lavendel und Blütenstaub

Titel: Lavendel und Blütenstaub
Autoren: J. Habersatter
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lange bei ihr. Draußen brach die pechschwarze Nacht herein. Mondlos und wolkenverhangen. Es war still und ruhig. Die Flammen der Kerzen, die rund ums Bett standen, waren das einzige, das sich bewegte. Alles andere war regungslos, in der Hoffnung, das Unausweichliche abzuhalten.
    Und während Erwin reglos bei ihr saß und ihre Hand hielt, erloschen die zwei Flammen der großen, dicken Kerze in einem kleinen See aus zerronnenem Wachs.
     
     
    Anna
     
    "Bist du traurig?"
    Sie schüttelte den Kopf. "Nein, nicht mehr."
    "Warst du es denn?"
    "Ja, war ich."
    "Warum?"
    "Weil ich nicht sterben wollte."
    "Warum wolltest du nicht sterben?"
    "Weil ich leben wollte."
    "Aber du hast doch gelebt."
    Sie nickte. "Ja, du hast recht. Ich habe gelebt."
    "Und? Wie war es, dein Leben?"
    Sie dachte nach. Sah in die Ferne und ließ die Gedanken schweifen.
    "Es war sehr schön. Hart und anstrengend, aber schön."
    "Vermisst du etwas?"
    Was für Fragen er heute stellte! Sie lächelte.
    "Ich habe viel vermisst. Zuerst dich, dann meine kleine, liebe Valerie, die nicht die Chance hatte zu leben, und dann meinen Johann." Sie seufzte. "Meinen geliebten Johann."
    Wieder verlor sich ihr Blick in der Ferne.
    "Nicht mehr lange, Schwesterchen. Nicht mehr lange."
    Er zog sie zu sich und flüsterte ihr ins Ohr: "Wenn es Zeit ist, sind sie da. Sie warten bereits."
     
     
    Stella
     
    Sie glitt ihr davon, das konnte sie förmlich fühlen.
    Anna schlief und schlief und Stella wich ihr nicht mehr von der Seite. Keine Sekunde wollte sie ihre Mutter aus den Augen lassen.
    Stundenlang saß sie neben ihr; hielt ihre Hand, streichelte sie, strich ihr durch die Haare, zündete neue Kerzen an, legte eine ruhige CD ein.
    Stunde um Stunde verging und Anna sagte kein Wort mehr.
    Zu jedem hatte sie noch etwas gesagt, nur nicht zu ihr. Stella war traurig. Leichte Eifersucht kam in ihr hoch.
    Sie suchte Rat bei Erni.
    "Denken Sie nach, Stella. Die Antwort liegt auf der Hand", sagte sie nur.
    Stella dachte nach. Dann wusste sie: Es war alles gesagt.
    Sie hatten viel gesprochen in den letzten Wochen. Viel Zeit miteinander verbracht, gelacht und geweint.
    Es war alles gesagt.
    Stella sah auf das Gesicht ihrer schlafenden, reglosen Mutter.
    "Leb' wohl, Mama", sagte sie, legte ihren Kopf auf Annas Brust und weinte.
     
     
    Erni
     
    Die letzte Phase war immer die schwerste.
    Akzeptanz.
    Bei den einen dauerte sie länger, bei den anderen kürzer, doch durchmachen musste sie jeder, der an einer Erkrankung starb.
    Alle Sterbenden, die Erni bisher begleitet hatte, mussten sich irgendwann dem Schicksal stellen und es letztendlich annehmen.
    Bis zum Schluss trugen Sterbende zwar noch einen winzigen Funken Hoffnung in sich, doch nicht sterben zu müssen, aber letztendlich mussten sie sich dem Unausweichlichem stellen.
    Erni wusste, dass es nach der bekannten Wissenschaftlerin Elisabeth Kübler-Ross fünf Sterbephasen gab - Nicht-wahr-haben wollen und Isolation, Zorn und Ärger, Verhandeln, depressive Phase und letztendlich Akzeptanz.
    Anna schien nun die letzte Stufe endgültig erreicht zu haben. Sie wirkte erschöpft, sowohl körperlich als auch geistig. Und sie war frei von jeglichen Gefühlen.
    Nach den vielen Gesprächen der vergangenen Tage widmete sie sich nur noch dem Schlafen. Es schien, als würde sie sich immer mehr in sich selbst zurückziehen.
    Zwei Tage lang saßen Stella, Erwin und Aurelia an Annas Bett, hielten ihre Hand, redeten mit ihr oder wachten stumm.
    "Wieso dauert das so lange?", fragte am Abend Stella. Sie war zermürbt und kraftlos.
    Dr. Schreiber sorgte mit allerlei Mittelchen zwar dafür, dass Anna keine Schmerzen leiden musste und halbwegs ruhig atmen konnte, doch für Stella war es dennoch qualvoll, wie lange Anna für ihren letzten Weg brauchte. Sie selbst war am Ende ihrer Kräfte angelangt.
    Erni fasste einen Entschluss.
    "Gehen Sie nach unten, Stella. Nehmen Sie sich Auszeit. Machen Sie sich einen Tee, ruhen Sie sich aus. Ich rufe, wenn sich der Zustand Ihrer Mutter ändert. Einverstanden?"
    Stella nickte dankbar und ging. Zum ersten Mal seit Tagen zog sie sich bewusst zurück.
    Die Minuten vergingen. Erni hatte sich vor dem Fenster am Boden auf die dicken Polster gesetzt, um Anna mehr Raum zu geben.
    Sie regte sich. Annas Augenlider zitterten, dann blickte sie um sich.
    "Erni?", sagte sie leise.
    "Ja, ich bin hier."
    Sie stand auf und ging zu Annas Bett.
    "Ich habe etwas vergessen."
    "Was denn?"
    "Ich wollte noch einmal zum Fluss." Sie brach ab
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