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Lautloses Duell

Titel: Lautloses Duell
Autoren: Jeffery Deaver
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sind als gewaltige Computersysteme. Die Kunst, eine Telefongesellschaft zu knacken, um kostenlos zu telefonieren oder auch um der schieren Herausforderung willen ist als
phreaking
bekannt. Laut den Unterlagen in der Akte hatte Gillette seine erschlichenen Anrufe dazu benutzt, um die Zeitansage oder den Wetterbericht in Paris, Athen, Frankfurt, Tokio und Ankara anzurufen. Woraus ersichtlich wurde, wie der Polizist vermutete, dass er nur deshalb in das System eingebrochen war, um zu sehen, ob er es schafft, und nicht, um die Firma zu schädigen.
    In der Hoffnung auf eine Entscheidungshilfe hinsichtlich Gillettes Beurlaubung blätterte Anderson weiter durch die Akte des jungen Mannes. Der Einwand des Direktors war eindeutig nicht von der Hand zu weisen: Gillette war in den vergangenen zwölf Jahren im Zusammenhang mit zwölf schweren Hacker-Zwischenfällen verhört worden. Bei der Verkündung des Urteilsspruchs nach dem Western-Software-Hack hatte die Anklage einen Ausspruch der Richter zitiert, die den berühmten Hacker Kevin Mitnick hinter Gitter gebracht hatten, und mit deren Worten festgestellt, Gillette sei »gemeingefährlich, sobald er mit einer Tastatur bewaffnet ist«.
    Trotzdem war Gillettes Umgang mit Computern nicht ausschließlich verbrecherischer Natur, wie Anderson erfuhr. Er hatte für eine Reihe von Firmen im Silicon Valley gearbeitet und für seine Fähigkeiten als Programmierer ausschließlich Lobeshymnen geerntet. Außerdem hatte er jede Menge brillanter Freeware und Shareware geschrieben, also Programme, die kostenlos an jeden verschenkt wurden, der sie haben wollte. Der junge Mann hatte auf Konferenzen über neue Entwicklungen der Programmiersprachen Vorträge gehalten und war so eine Art Experte in dem Bereich, den er und Anderson zuvor bereits erwähnt hatten: Molekularelektronik oder »Moletronics«, mit deren Hilfe zukünftige Computerprozessoren aus winzigen Röhrchen aus exotischen Molekülen hergestellt würden, die tausendfach schneller arbeiten und millionenfach so viel Informationen speichern konnten wie die leistungsstärksten Silikonchips, die heutzutage auf dem Markt waren.
    An einer Stelle stutzte Anderson und lachte erstaunt auf. Er war auf den Nachdruck eines Artikels gestoßen, den Wyatt Gillette vor mehreren Jahren für die Zeitschrift
On-Line
geschrieben hatte. Der Artikel hatte große Verbreitung gefunden, und Anderson erinnerte sich daran, ihn kurz nach seinem Erscheinen gelesen zu haben, ohne sich den Namen des Autors zu merken. Seine Überschrift lautete »Leben im Blauen Nichts«, und er handelte davon, dass die Computer die erste technologische Erfindung in der Geschichte der Menschheit waren, die jeden Aspekt des menschlichen Lebens beeinflussten, von der Psychologie über die Unterhaltungsindustrie bis zur menschlichen Intelligenz, von den materiellen Bedürfnissen bis hin zum Konzept des Bösen, und dass Mensch und Maschine sich aus diesem Grunde noch weiter annähern würden. Daraus entstünden allerlei Vorteile, aber auch viele Gefahren. Der Ausdruck »Blaues Nichts«, der die Bezeichnung »Cyberspace« ersetzte, bezeichnete die Computerwelt, sowohl on- als auch offline, oder, wie sie auch genannt wurde, die »Maschinenwelt«. In dem von Gillette geprägten Ausdruck bezog sich das »Blau« auf die Elektrizität, die die Computer zum Laufen brachte. Das »Nichts« bedeutete, dass es sich zwar um einen realen, aber trotzdem immateriellen Raum handelte.
    Andy Anderson blätterte in ein paar Fotokopien von Wyatts letztem Prozess. Er sah Dutzende von Briefen, die dem Richter geschickt worden waren und in denen um Nachsicht für den Angeklagten gebeten wurde. Gillettes Vater, ein amerikanischer Ingenieur, der in Saudi Arabien arbeitete, hatte mehrere herzergreifende Gesuche um ein nicht allzu strenges Strafmaß an den Richter gemailt. Die Mutter des Hackers war verstorben – ein unerwarteter Herzschlag, als die Frau noch nicht einmal sechzig war –, aber es hatte ganz den Anschein, als verstünden sich der junge Mann und sein Vater sehr gut. Auch Rick, der Bruder des Hackers, der als Regierungsangestellter in Montana arbeitete, war seinem Bruder mit mehreren gefaxten Briefen an das Gericht zu Hilfe geeilt, in denen er ebenfalls um Milde bat (Rick Gillette machte sogar den rührenden Vorschlag, sein Bruder könne bei ihm und seiner Frau »in einer von majestätisch zerklüfteten Bergen umgebenen Landschaft« leben, als ließe sich der Hacker mit frischer Luft und
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