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Lautlos wandert der Schatten

Lautlos wandert der Schatten

Titel: Lautlos wandert der Schatten
Autoren: Roland Breitenbach
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Stunden ziehen wir über die
Meseta Kastiliens, Hochebenen, die nur von kurzen Quertälern, natürlich wieder
in Nord-Süd-Richtung, unterbrochen sind. In ihnen liegen die kleinen und
armseligen Dörfer, aus der Ferne kaum auszumachen. Das Auge blickt, geblendet
durch die Sonne, in riesige, fahlgelbe Weiten. Kein Baum, kein Strauch. Kaum
eine Erhebung. Keine Menschen. Kein Wasser. Nur endlose Weizenfelder, die jetzt
bereits abgeerntet sind und auf Regen warten. Die Luft um uns herum scheint zu
kochen. Diese Wegabschnitte waren die eigentliche Herausforderung für uns.
Jetzt, jetzt erst war der Pilger ganz mit sich allein. Hier mußte er sich
finden oder er ging an sich zugrunde. Das Land Kastilien ist geradezu gemacht
für die Auseinandersetzung und den Streit mit sich selbst. Jetzt, erst jetzt
mußte es sich erweisen, ob der Ruf auf den Weg eine Berufung war oder eine
Illusion; ob die Motive ausreichten oder ob sie in der Glut der unbarmherzigen
Sonne verdampften wie das Wasser in den stickigen Löchern am trockenen Fluß.
Hier in dieser ungeheuren Einsamkeit spürt der Pilger, daß er um seiner selbst
willen nicht stehen bleiben darf. Wenn er sich wirklich treu bleiben will, muß
er gehen. Wenn er Mensch bleiben will, muß er gehen. Wenn er Mensch werden
will, muß er gehen.
     
    Die
Meseta wurde für uns der Weg zur großen Besinnung. Tagelang die gleiche
Landschaft. Nichts, aber auch gar nichts konnte unseren Blick und unseren Geist
ablenken. Wir wurden noch schweigsamer als wir es vorher schon waren. Ein
gelegentlicher Zuruf, der Schluck Wasser aus der gemeinsamen Flasche, ein
schüchternes Lächeln, vielleicht ein ermunterndes ,Weiter!’, das war alles für
viele Stunden. Einzig der Weg blieb uns als Spur übers Land. Die eigenen Spuren
waren schnell im ständigen Wind verweht. Pascal hat ein richtiges Wort für eine
Landschaft wie diese gefunden: „Die ewige Stille dieser endlosen Räume macht
mir Angst.“
     
    Meseta
     
    Sprödes
weites weißes Land,
    soweit
das Auge reicht.
    Hart
im Licht der Sonne.
    Sprödes
weites weißes Land,
    nichts
in der Ebene hält das Auge fest,
    gedörrt
im Licht der Sonne.
    Vergeblich
scheint unser Schritt,
    versickernd
im unendlichen Weiß.
    Weit
in der Ferne eine Herde.
    Hunde
umkreisen
    halten
zusammen,
    was
sonst verlorengeht,
    während
unsere Spur verweht
    im
Wind.
    Sprödes
weites weißes Land.
     
    Dicht
zusammengedrängt stehen die Schafe mit gesenkten Köpfen, um sich ein wenig
Schatten zu spenden. Der Schäfer hat einen Sack ausgespannt, unter dem er sich
schützt; ein halber Quadratmeter Schatten. Ist das überhaupt noch Leben? Hier
in der Meseta lernen wir verstehen, daß Licht und Sonne nicht nur Leben,
sondern auch Tod bedeuten. Ist der Lichtengel nicht auch gleichzeitig der Engel
des Todes? Heiliger Michael, Engel des Todes und des Lebens, bitte für uns.
     
    Am
Rande der Dörfer sind Stollen in die Hügel getrieben, um alles zu bergen, was
das Leben am Rande des Möglichen erhalten konnte. Alles, was lebt, geht dem
Tode zu. Solange wir gehen, haben wir Leben. Für einen Kilometer oder zwei
begleitet uns durch die Gluthitze nach alter Sitte der Pfarrer von Iglesias:
„Wenn du einen Pilger siehst, teil’ den Weg mit ihm für tausend Schritte oder
mehr; du teilst sie mit dem Apostel.“ Der Gute erfüllte nicht nur diese fromme
Pflicht, er ist auch glücklich, Gesprächspartner oder besser, Zuhörer zu haben,
die sein Klagen über das Sterben der Kirche im Wechsel auf Spanisch und
Französisch aufnehmen. Er beklagt vor allem den Materialismus, was für ihn die
Auseinandersetzung der Jungen mit den Verlockungen der Großstadt bedeutet.
     
    Der
Pfarrer von Iglesias
     
    Kreuzt
ein Pilger den Weg,
    gehe
tausend Schritte mit ihm,
    er
geht für dich nach Santiago.
    So
ist es Brauch.
    Er
geht mit uns
    die
zweimal tausend Schritte
    der
Pfarrer von Iglesias.
    Wie
die Pilger
    geht
die Zeit an ihm vorbei.
    Sein
Dorf dörrt aus in der Glut
    der
Meseta mitsamt der Kirche;
    die
Alten vertrocknen
    zwischen
Scheune, Feld und Stall.
    Die
Jungen hoffen
    in
Burgos, Palencia oder Madrid
    auf
ein süßes Leben
    und
kommen ausgetrocknet
    nach
Hause - nicht mehr.
     
    Párroco
Antonio Santos zeigt uns den königlichen Weg, der in dieser herben Landschaft
kaum mehr auszumachen ist, und verspricht uns für Hontanas ein Schwimmbad. Dieser
Traum erfüllt sich, auch wenn wir erst an einen Verständigungsfehler dachten:
Klares, kaltes, weiches Wasser in einer Gegend, die einen solchen
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