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Lausbubengeschichten

Lausbubengeschichten

Titel: Lausbubengeschichten
Autoren: Ludwig Thoma
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habe ich mir alles gefallen lassen.
    Ich bin am andern Tag in die Schule gegangen. Es war
    bloß ein Zimmer, und da waren alle Klassen darin, und auf
    der einen Seite waren die Buben und auf der anderen die
    Mädchen.
    Wie ich gekommen bin, hat mich der Lehrer in die erste
    Bank gesetzt. Dann hat er gesagt, daß sich die Kinder Mühe
    geben sollen, weil heute ein großer Gelehrter unter ihnen
    sitzt, der Lateinisch kann.
    Das hat mich verdrossen, weil die Kinder gelacht haben.
    Aber ich habe es mir nicht merken lassen. Einer hat ein Lese-
    stück vorlesen müssen. Es hat geheißen „Der Abend“ und ist
    so angegangen: „Die Sonne geht zur Ruhe, und am Himmel
    kommt der Abendstern. Die Vöglein verstummen mit ihrem
    lieblichen Gesange; nur die Grillen zirpen im Felde. Da geht
    der fleißige Bauersmann heim. Sein Hund bellt freudig, und
    die Kinder springen ihm entgegen.“ So ist es weiter gegangen.
    Es war furchtbar dumm, und ich habe gedacht, was es für
    eine Schande ist für einen Lateinschüler, daß er dabei sitzen
    muß.
    Der Lehrer sagte, die Kinder von der siebenten Klasse
    müssen es nun aus dem Kopfe schreiben und er ladet den
    Herrn Lateinschüler auch ein.
    Er hat mir eine Tafel und einen Griffel gegeben und dann
    sagte er, daß er eine halbe Stunde in die Kirche fort muß,
    und daß die Furtner Marie die Aufsicht hat. Sie war auch von
    der siebenten Klasse und die Tochter von einem Bauern, der
    nicht weit von uns ein Haus hat. Da bin ich noch zorniger
    geworden, daß ich einem Mädel folgen soll.
    Wie der Lehrer draußen war, habe ich den Leitner, der ne-
    ben mir gesessen ist, ganz ruhig gefragt, ob er heute nachmit-
    tags zum Fischen mitgehen will.
    Da hat die Furtner Marie gerufen: „Ruhig! Wenn du noch
    einmal schwätzest, wirst du aufgeschrieben.“
    „Entschuldigen Sie, Fräulein Lehrerin,“ habe ich gesagt,
    „ich will es nicht mehr tun.“
    Dann habe ich einen Schlüssel aus der Tasche gezogen
    und habe probiert, ob er noch pfeift.
    Da ist die Furtner Marie zur Tafel hinaus und hat hinge-
    schrieben: „Thoma hat gepfiffen.“
    Ich bin aufgestanden und habe gesagt: „Entschuldigen Sie,
    Fräulein Lehrerin, was muß ich denn machen, daß Sie mich
    nicht aufschreiben?“
    Sie sagte, daß ich den Aufsatz „Der Abend“ schreiben
    muß.
    Da habe ich geschwind etwas geschrieben, und dann bin
    ich wieder aufgestanden und habe gesagt: „Entschuldigen Sie,
    Fräulein Lehrerin, darf ich es nicht vorlesen, daß Sie mir sa-
    gen, ob es recht ist?“
    Da ist die dumme Gans stolz gewesen, daß sie einem
    Lateinschüler etwas sagen muß, und sie hat gesagt: „Ja, du
    darfst es vorlesen.“
    Da habe ich recht laut gelesen:
    „Die Sonne geht zur Ruhe. Der Abendstern ist auf dem
    Himmel. Vor dem Wirtshause ist es still. Auf einmal geht die
    Tür auf, und der Hausknecht wirft einen Bauersmann hin-
    aus. Er ist betrunken. Es ist der Furtner Marie ihr Vater.“
    Da haben alle Kinder gelacht, und die Furtner hat zu heu-
    len angefangen. Sie ist wieder an die Tafel hin und hat ge-
    schrieben: „Thoma war ungezogen.“ Das hat sie dreimal un-
    terstrichen. Ich bin aus meiner Bank gegangen und habe den
    Schwamm genommen und habe ihre Schrift ausgewischt.
    Und dann habe ich die Furtner Marie bei ihrem Zopf ge-
    packt und habe sie gebeutelt, und zuletzt habe ich ihr eine
    Ohrfeige hineingehauen, damit sie weiß, daß man einen La-
    teinschüler nicht aufschreibt.
    Jetzt ist der Lehrer gekommen, und er war zornig, wie er
    alles erfahren hat. Er sagte, daß er nur wegen meiner Mutter
    mich nicht gleich hinauswirft, aber daß er mich zwei Stun-
    den nach der Schule einsperrt. Das hat er auch getan. Wie die
    Kinder fort waren, habe ich dableiben müssen, und der Leh-
    rer hat die Tür mit dem Schlüssel zugesperrt. Es war schon
    elf Uhr, und ich habe furchtbar Hunger gehabt, und ich habe
    auch gedacht, was es für eine Schande ist, daß ich in einer
    Volksschule eingesperrt bin.
    Da habe ich geschaut, ob ich nicht durchbrennen kann
    und vielleicht beim Fenster hinunterspringen. Aber es war
    im ersten Stock und zu hoch, und es waren Steine unten. Da
    schaute ich auf der andern Seite, wo der Garten war. Wenn
    man auf die Erde springt, tut es vielleicht nicht weh. Ich
    machte das Fenster auf und dachte, ob ich es probiere. Da
    habe ich auf einmal gesehen, daß an der Mauer die Latten
    für das Spalierobst sind, und ich habe gedacht, daß sie mich
    schon tragen.
    Ich bin langsam hinausgestiegen und habe die Füße
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