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Laurins Vermächtnis (German Edition)

Laurins Vermächtnis (German Edition)

Titel: Laurins Vermächtnis (German Edition)
Autoren: Robert Biegert
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Stelle, an der der ausgeschüttete Kaffee einen dunklen Fleck auf dem roten Teppichboden bildete.
    „Rainer! Hörst Du mir zu?“
    Rainer Jäger zuckte kurz und sagte:
    „Ja doch, ich hör‘ Dir zu.“
    „Also – Nonna war ganz klar im Kopf und konzentriert. Sie hat gesagt, dass Nonno im Krieg – 1943 ...“
    „Neunzehnhundertdreiundvierzig!? Du zitierst mich hierher in die Bibliothek, machst dramatische Anläufe, um mir irgendwas von 1943 zu erzählen?“ Rainer Jäger schrie beinahe, sein Hals rötete sich. Das war selbst für ihn, der oft harsch im Ton war, eine überbordende Reaktion.
    „Jetzt hör‘ aber mal“, sagte Matthias, „erstens, warst Du es, der gesagt hat, ich soll in die Bibliothek kommen und zweitens ...“
    Schon das „zweitens“ ging unter in dem schraddernden Geräusch der zweiflügeligen Schiebetür, die die Bibliothek von der Haupthalle trennte. Rainer sah auf und Matthias drehte sich in seinem Sofa um. Anna stand in der Tür, mit schmalen Lippen und tränenfeuchten Augen und sagte:
    „Das Krankenhaus hat angerufen – Nonna ist tot.“
    Matthias Jäger drehte sich wieder zurück und schaute seinen Bruder an. Dessen Gesicht war so ausdruckslos wie zu Beginn ihres Gespräches, nur vielleicht noch ein bisschen blasser. Rainer sagte kein Wort. Matthias drehte sich noch einmal um zu seiner Schwägerin, die reglos und wortlos in der Tür stand. Dann stand er mechanisch auf und verließ die Bibliothek.
    Zuerst wollte Matthias sich aufs Motorrad setzen und losfahren – raus, weg! Aber noch auf dem Weg zum Hotelausgang verwarf er den Gedanken. Er hätte seinen Helm und seine Lederkombi aus dem Zimmer holen müssen und dabei hätte er vielleicht Greta geweckt. Sie wäre verständnisvoll und liebevoll gewesen, hätte ihn in den Arm genommen und ihn getröstet in seinem Kummer. Aber er wollte jetzt nicht umarmt werden, er wollte raus!
    Natürlich war er traurig über den Tod seiner Großmutter – so absehbar der auch war. Aber was ihn viel stärker erschütterte, war, dass es den Großvater, den er gekannt hatte, nicht mehr gab ... nein: den Großvater, den er zu kennen geglaubt hatte, den er geliebt und sich zum Vorbild genommen hatte, dessen Liebe, Respekt und Anerkennung er schon als Kind mehr gesucht hatte als die Zuwendung seiner Eltern. Wie hätte er Greta das erklären sollen? Irgendwann, ja, aber nicht jetzt, wenige Stunden, nachdem sein Bild von der Welt begonnen hatte, sich aufzulösen und er nicht wusste, wie viel am Ende übrig bleiben würde.
    Vielleicht war es ganz gut, dass Matthias Jäger seine Motorradausrüstung nicht griffbereit hatte. In seinem Zustand wäre er wahrscheinlich schon der ersten Kurve nicht gewachsen gewesen. Er war nicht nur ein leidenschaftlicher, sondern auch ein guter Motorradfahrer; die Touren durch Südtirol, die er mit den Gästen machte, gehörten zu den Attraktionen des Jägerhofes. Aber jetzt fiel es ihm schon schwer, nur ein Bein vor das andere zu setzen.
    Matthias wandte sich direkt dem Ausgang zu; er stieg in seine Wanderschuhe, die wie immer in der Garderobenecke standen, und schnappte sich eine Fleece-Jacke.
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2. Kapitel
    Es war ein paar Minuten nach zwölf an diesem Ostersonntag 2009, als Matthias Jäger auf der Terrasse vor dem Jägerhof kurz stehenblieb und tief einatmete. Die Sonne hatte schon ein bisschen mehr Kraft als noch vor ein, zwei Wochen, und wer darauf achtete, konnte bereits den Frühling riechen. Irgendetwas irritierte ihn. Er brauchte einen Moment, um zu realisieren, was es war: Das Geräusch, wenn die schwere Eingangstür des Hotels wieder ins Schloss fiel - es fehlte. Matthias drehte sich um und sah Anna auf der Schwelle stehen. Mit der linken Hand hielt sie die Tür auf, die rechte hing schlaff herab. Sie sagte nichts, ihr Gesichtsausdruck war ein Fragezeichen. Matthias seufzte „Ach, Anna“, drehte sich wieder zurück und ging langsam auf die Straße.
    Von hier aus hatte man einen perfekten Postkartenblick auf den Rosengarten. Mehr als acht Kilometer erstreckt sich die Bergkette vom Schlernmassiv im Norden bis zum Karerpass im Süden. Die Felsen reichen bis 3.000 Meter in den Himmel über den Dolomiten. Matthias fand es als Kind schon seltsam, dass eine solch schroffe Landschaft den lieblichen Namen „Rosengarten“ trägt. Es gab eine Reihe von linguistischen Erklärungen für die Herkunft dieses Wortes. Matthias, der, wie alle in seiner Familie, zweisprachig – deutsch und italienisch – aufgewachsen war, hatte
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