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Laurins Vermächtnis (German Edition)

Laurins Vermächtnis (German Edition)

Titel: Laurins Vermächtnis (German Edition)
Autoren: Robert Biegert
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aus?“
    Die Stimme gehörte Manfredo Fratelli, einem Motorradhändler und -mechaniker aus Bozen, mit dem Matthias schon einige Touren gemacht hatte. Manfredo stammte aus Neapel. Seine Eltern hatten ihn nach Manfredo Fanti benannt, einem italienischen General und späteren Kriegsminister aus dem 19. Jahrhundert. Hätte eine Frauenzeitschrift ein Sonderheft zum Thema „Latin Lover“ herausgegeben, Manfredo Fratelli wäre der erste Kandidat für das Titelbild gewesen: rabenflügelschwarze, leicht gewellte Haare, ein dunkler Bartschatten, der auch durch die gründlichste Nassrasur nie ganz verschwand und ein sichtbar, aber nicht übertrieben trainierter Körper. Manfredo hatte bereits als Kind eine ansehnliche Harley-Davidson-Bildersammlung und als Jugendlicher eine Ausbildung als Motorrad-Mechaniker gemacht. Aber Neapel war kein guter Ort für seine Leidenschaft und seine Fähigkeiten. Unter den eine Million Einwohnern seiner Heimatstadt gab es zu wenige, die sich eine Harley-Davidson kaufen konnten und zu viele, die ihren Lebensunterhalt mit dem Diebstahl von Motorrädern bestritten. Und so zog es ihn als jungen Mann nach Südtirol. Die Provinz ist ein Motorradparadies; hier gab es immer genug Einheimische und Touristen, die bei „Fratelli Moto“ ihre Harleys kauften, mieteten oder reparieren ließen. Manfredo hatte nie verstanden, was ein leidenschaftlicher Biker wie Matthias an einer BMW fand. Sicher, gegen eine BMW könne man im Grunde nichts einwenden, gab er gerne zu – technisch über jeden Zweifel erhaben, gut zu fahren, zuverlässig – ziemlich deutsch. Aber, erklärte Manfredo seinem Kumpel ein ums andere Mal – und er untermalte das gerne mit beiden Händen – eine BMW sei eben nicht sinnlich, nie ein Mann, nie eine Frau, sondern immer nur ein Fahrzeug. Matthias fand durchaus Gefallen an dem Gedanken, sich von Manfredo Fratelli, dem Harley-Mann, bekehren zu lassen, aber noch war er nicht so weit, das zuzugeben.
    Manfredo saß in seinem schwarz-orange lackierten Kleintransporter, mit dem er eine gerade reparierte Maschine einem Kunden nach Haus gebracht hatte – am Ostersonntag! Über schlechten Service hatte sich bei ihm noch niemand beschwert.
    „Ciao Manfredo“, sagte Matthias Jäger, „nimmst Du mich ein Stückchen mit?“
    „Na klar, wo musst Du hin?“
    „Lass mich in Ums raus, auf dem Wandererparkplatz“, sagte Matthias, während er schon auf den Beifahrersitz des Transporters rutschte.
    „Auf dem Wandererparkplatz – was willst Du da denn?“
    „Ich will da einfach hin, okay?“
    Matthias war entnervt und kraftlos. Trotzdem wollte er die 15 Kilometer von Tiers nach Ums eher zu Fuß laufen, als sich hier auf eine Diskussion einzulassen.
    „Ja doch!“
    Manfredo hatte eigentlich keine Lust, sich anraunzen zu lassen. Aber zu seiner Vorstellung davon, ein guter Kumpel zu sein, gehörte es, jetzt nichts mehr weiter zu sagen und einfach zu fahren.
    Es war wenig los auf der schmalen Landstraße, so mussten die beiden Männer die unangenehme Stille nicht lange aushalten, bis der Transporter den Parkplatz im Ums erreichte. Von hier aus starteten die Wanderer Richtung Schlern, aber viel Betrieb war nicht mehr, weil die meisten schon am Morgen losgegangen waren. Matthias schaute Manfredo an, fasste ihn mit der linken Hand am Unterarm und sagte: „Danke Dir – und: Scusa!“
    Er stieg aus und wollte gerade die Türe zuwerfen, als er kurz innehielt.
    „Weißt Du, was ich mich frage?“
    Matthias wusste selber nicht, warum er ausgerechnet jetzt darauf kam.
    „Wieso verkaufst Du alter Italiener eigentlich keine italienischen Motorräder?“
    „Ach weißt Du, diese Maschinen sind wie das Land: zum Verlieben schön, aber du musst immer mit bösen Überraschungen rechnen.“
    „Tja ... Danke Dir noch mal“, sagte Matthias, schlug nun wirklich die Tür des Transporters zu und drehte sich um.
    Matthias Jäger fühlte sich nackt und müde. Was er jetzt brauchte, waren ein weiter Blick, ein paar Stunden Schlaf und jemanden, dem er sich anvertrauen konnte. All das erwartete ihn 430 Höhenmeter und eine gute Stunde Fußweg entfernt. Wie alles hier erinnerte ihn auch die Wanderung zur Schlernbachalm an seinen Großvater. Sie waren oft zu zweit den Weg durch die Kiefern- und Lärchenwälder gewandert. Oben auf der Hütte teilten sie sich dann als Stärkung für den Rückweg eine Brettljause mit Speck, Käse und Schüttelbrot. Dazu gab es ein Achtel Wein für den Großvater und eine naturtrübe
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