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Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)

Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)

Titel: Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)
Autoren: Laurence Sterne
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l'oeuvre. Biographie critique et esssai d'interprétation de Tristram Shandy, Gallimard, Paris 1961
    [ * ] frei zitiert nach Spiegel 35/1958, ›Laurence Sterne: Die Säfte kreisen‹
     
     

Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman
    1. Kapitel
    I CH WOLLTE , mein Vater oder auch meine Mutter, oder eigentlich beide – denn es wäre wirklich beider Pflicht und Schuldigkeit gewesen – hätten sich ordentlich zu Gemüte geführt, was sie tun wollten, als sie mich zeugten. Hätten sie sich gehörig vor Augen gestellt, wie viel von dem abhänge, was sie gerade taten, dass es sich nicht nur um die Erschaffung eines vernünftigen Wesens handle, sondern dass möglicherweise die glückliche Bildung und Beschaffenheit seines Leibes, vielleicht auch sein Geist und das eigentümliche Gepräge seines Gemütes und sogar – sie wussten wenigstens das Gegenteil nicht – das Glück seines ganzen Hauses von den Launen und Stimmungen beeinflusst werden konnten, die in dem Momente gerade die maßgebenden waren, hätten sie das Alles gehörig erwogen und überlegt und demgemäß auch gehandelt, so bin ich lebhaft überzeugt, dass ich eine ganz andere Figur in der Welt gespielt haben würde, als diejenige ist, in welcher mich der geneigte Leser vermutlich erblicken wird. Ja ihr lieben Leute, glaubt mir nur, diese Sache ist nicht so unerheblich, als Manche von euch glauben mögen. Ihr habt wohl alle davon gehört, wie die tierischen Regungen vom Vater auf den Sohn übertragen werden u. s. w. und noch vieles Andere in dieser Richtung. Nun gut, ich kann euch mein Wort daraufgeben: neun Zehntel von eines Mannes Vernunft oder Unvernunft, von seinen Erfolgen und Misserfolgen in dieser Welt hängen von seiner Bewegung und Tätigkeit, von den verschiedenen Spuren und Geleisen, in die man sie bringt, ab, so dass, wenn sie einmal im Gange sind, – gleichviel ob auf gutem oder schlechtem Wege, darum gebe ich keinen Groschen –, sie dahin poltern wie ein Verrückter. Indem sie aber immer wieder denselben Weg treten, machen sie am Ende eine so ebene und glatte Straße daraus wie ein Gartenpfad, und wenn sie einmal daran gewöhnt sind, bringt sie der Teufel selbst oft nicht mehr daraus.
    Höre, Alter, sagte meine Mutter, hast du nicht vergessen die Uhr aufzuziehen? – Ach du meine Güte! rief mein Vater ungeduldig, gab sich jedoch zugleich Mühe, seine Stimme zu mäßigen, – hat seit Erschaffung der Welt eine Frau ihren Mann jemals mit einer so dummen Frage unterbrochen? – Was sagte denn Ihr Herr Vater vorher? – O Nichts.
     
    2. Kapitel
    Dann kann ich aber auch entschieden nichts an der Frage finden, weder Gutes noch Schlimmes. – Dann erlauben Sie, mein Herr, war es jedenfalls eine sehr unzeitige Frage – weil sie die animalischen Regungen zersplitterte und zerstreute, die den Homunculus hätten begleiten, Hand in Hand mit ihm gehen und ihn sicher an den Ort geleiten sollen, der für seine Aufnahme bestimmt war.
    In welch geringem und lächerlichem Lichte der Homunculus aber auch in dieser oberflächlichen Zeit im Auge der Torheit oder des Vorurteils erscheinen mag, so ist er im Auge des vernünftigen, wissenschaftlichen Forschers unzweifelhaft mit gewissen Rechten ausgestattet und umschrieben.
    Die tüftelichsten Philosophen, welche beiläufig gesagt, den weitesten Verstand haben, da ihre Seele im umgekehrten Verhältnis zu ihren Forschungen steht, haben uns unwiderleglich dargetan, dass der Homunculus durch die gleiche Hand geschaffen, auf demselben Wege der Natur gezeugt, mit denselben Bewegungskräften und Fähigkeiten ausgestattet ist wie wir; dass er wie wir aus Haut, Haar, Fett, Fleisch, Adern, Sehnen, Nerven, Knorpeln, Knochen, Mark, Gehirn, Drüsen, Zeugungsteilen, Säften und Gelenken besteht; dass es ein Wesen von gleicher Tätigkeit und in jedweder Bedeutung des Worts eben so gut und so wahrhaftig unser Mitgeschöpf ist wie der Lordkanzler von England. Man kann ihm wohltun, ihn verletzen und ihm wieder Genugtuung gewähren; mit einem Wort, er besitzt all die menschlichen Ansprüche und Rechte, welche Tullins, Puffendorf oder die besten ethischen Schriftsteller aus diesem Zustand und Verwandtschaftsverhältnis herleiten.
    Nun bitte ich Sie, mein lieber Herr, wenn ihm auf seinem einsamen Wege irgend ein Unfall zugestoßen wäre! oder wenn der kleine Herr durch den bei einem so jungen Reisenden natürlichen Schreck, ganz mitgenommen und ruiniert am Ende seiner Wanderung angekommen wäre, wenn seine
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