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Laufend loslassen

Laufend loslassen

Titel: Laufend loslassen
Autoren: Gerhard Mall
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Spanier, Jaime, Paula und Guillermo, kümmern sich, dass ich ein Bett bekomme und laden mich auf ein Bier und später sogar zum Abendessen ein. Jaime ist Lehrer, sie studiert Innenarchitektur und ihr Bruder geht noch zur Schule. Ich unterhalte mich intensiv mit ihnen, soweit meine Spanischkenntnisse das zulassen. Es ist eine freundliche, offene Atmosphäre, in der ich mich wieder sehr wohl fühle. Am späteren Abend verabschieden wir uns und tauschen Adressen. Während wir zum Abendessen in der Bar waren, ging plötzlich für zehn Minuten ein heftiger Regen nieder. Meine Stiefel vor der Herbergstür wurden von einem anderen Pilger gerettet. Ich gehe bald zu Bett, dankbar für diesen Tag, mit einem Gefühl stiller Freude.
     

Sonntag, 26. August
    Um fünf Uhr wache ich auf, im Schlafsaal ist es noch still. Leise packe ich zusammen, frühstücke in der schönen Küche und ziehe hinaus in die Nacht. Lange führt der Weg entlang der schlafenden Straße. Es ist warm und schwül. Links das sanfte Rauschen von Windkraftanlagen, sonst nur meine Schritte und das „Tak-tak.“ des Wanderstabes auf dem Asphalt. Als der Weg die Straße verlässt, ist er gerade hell genug, dass ich die gelben Pfeile auf dem schwarzen Asphalt erkenne. Der Weg führt durch Heide und Wald, dann wieder zur Straße. Ich denke wieder viel nach über die Erlebnisse und Erfahrungen des Camino. Es ist gut, diese Zeit zum Ordnen und Wirkenlassen von Eindrücken zu haben. Vor zehn Tagen und kürzer habe ich es mir ganz anders gewünscht. Ich weiß, dass Verena noch da ist und vielleicht auch nach Finisterre will. Ich überlasse es ganz bewusst dem Willen Gottes, ob wir uns noch einmal sehen. „Dein Wille geschehe.“, nicht meiner.
    Ich denke an Jaime, Paula und Guillermo. Es kommt mir vor, als seien drei Engel zu mir gesandt worden. Ihre aufmerksame, liebevolle Art hat mir sehr gutgetan.
    Auf halber Strecke erreiche ich Senande und mache Rast, schreibe Notizen mit dem Kugelschreiber, den mir Jaime gestern geschenkt hat. Er hatte gesehen, dass ich mit dem Bleistift schreibe und mir den Kugelschreiber überlassen. Mir fällt ein Gespräch ein, das die drei gestern mit einem Spanier geführt haben. Der ist aufgrund eines Gelübdes ganz ohne
    Geld unterwegs, putzt und arbeitet in den Herbergen mit, bekommt alles von anderen. Wie hatte Frère Wolfgang in Taizé den Auftrag Jesu bei der Aussendung der Jünger interpretiert: „Seid Leute, die auf die Güte anderer angewiesen sind.“ Welch ein Vertrauen!
    Weiter führt der Weg durch viel Wald und Heide auf meist kleinen Feldwegen. Um halb vier erreiche ich die Herberge von Muxía. Als ich mich gerade auf den Weg zum Tourismusbüro mache, um meine Urkunde zu bekommen, treffe ich - Doris und Hans. Wir begrüßen uns voller Freude über das unerwartete Wiedersehen und vereinbaren, abends zusammen essen zu gehen, was wir auch tun.
    Statt anschließend zur Kirche Santuario de Virxen da Barca zu laufen, um den Sonnenuntergang zu sehen, öffnen wir lieber eine zweite Flasche Wein und tauschen uns über Erfahrungen der Pilgerzeit aus. Die beiden waren vorher am Cabo Finisterre und sind jetzt auf ihrer letzten Etappe gewesen. Sie wollen einige Tage in Muxía verbringen, während ich morgen nach Finisterre laufe. Der Sonnenuntergang über dem Meer fällt wegen der aufkommenden Bewölkung sowieso aus. Wir haben einen schönen Abend zusammen.

     

Montag, 27. August
    Um sechs Uhr wache ich auf, um sieben Uhr bin ich aus dem Haus. An der nächtlichen Küste geht es entlang. Langsam wird es heller, als die Straße die Meeresbucht verlässt. Ich finde einen Wegweiser, interpretiere ihn wohl falsch und laufe eine Straße entlang. Ich vermute, es ist acht Uhr, als ich merke, dass etwas nicht stimmt. Also wieder zurück, bis ich endlich eine Frau treffe, die ich fragen kann. Ich habe mich verlaufen und mindestens eine Dreiviertelstunde verloren. Schließlich finde ich auf den Camino zurück.
    Auf halber Strecke mache ich Rast. Ich sehe Pilger, die von Finisterre kommen. Gestern haben Hans und Doris mir erzählt, dass sie Verena in Finisterre gesehen haben. Sofort erwacht in mir die Sehnsucht, sie in Spanien vielleicht doch noch einmal zu sehen. Wie alle Süchte ist auch Sehnsucht nur schwer zu beherrschen. Es fällt mir unheimlich schwer, meinen Vorsatz aufrechtzuerhalten, alles in die Hand Gottes zu geben und den eigenen Willen loszulassen. Hier, auf halber Strecke, wo wir uns eigentlich treffen müssten, falls sie den Weg
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