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Laufend loslassen

Laufend loslassen

Titel: Laufend loslassen
Autoren: Gerhard Mall
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Fotografieren, dem Erledigen von Post und einigen Besichtigungen. Eine davon führt Dennis und mich ins Museum der Kathedrale. Am Abend kochen wir alle zusammen. Plötzlich taucht die Frage auf, wer wie lange in der Herberge bleibt. Hier wirkt sich die noch vorhandene Verstimmung zwischen Verena und mir aus. Ich will noch einen Tag in der privaten Herberge bleiben und dann nach Finisterre weiterlaufen. Nachdem Bianca morgen abreist, denke ich zunächst an ein Dreierzimmer, wie wir es in Burgos hatten. Das möchte Verena nicht. Die Stimmung verkrampft sich. Dennis spricht mit Verena. Anschließend, wir brechen gerade zu einem Stadtbummel auf, eröffnet mir Dennis, dass er und Verena entdeckt haben, dass sie einander lieben. Da ist auch die Zimmerfrage geklärt.
    Trotz der noch vorhandenen Anspannung spüre ich, dass diese Liebe eine Wahrheit ist, deren Entwicklung ich eigentlich schon sehen konnte, die ich aber nicht ganz an mich herangelassen habe. Es überrascht mich selbst, aber irgendwie fühle ich mich erleichtert. Ich kann jetzt auch Verena besser verstehen und beginne, innerlich hinter Dennis zurückzutreten und sie loszulassen. Er bittet mich, auch noch einmal mit Verena zu sprechen. Ich meine, sie weiche mir aus. Auf Vermittlung von Dennis gelingt dann doch noch ein Gespräch. Sie fühlt sich von mir eingeengt, bedrängt. Sie fragt sich, was ich eigentlich von ihr wolle. Ich bekenne wieder meinen Wunsch nach emotionaler Wärme. Heftig weist sie mich daraufhin, dass wir in zwei verschiedenen Lebensperioden stehen. „Ich weiß nicht, was du eigentlich von mir willst! Ich bin 26, du 60.“ Aus tiefem Herzen antworte ich: „Manchmal halten sich Gefühle nicht an solche Grenzen.“ Ich mache mich ganz auf und verletzlich. Sie fragt mich, ob ich sie auch an Martina erinnere. Ich bestätige und nenne Klarheit, Entschlossenheit, Wachheit und Ähnliches. Verena versteht. Ihr Blick zeigt es. Mir fällt ein Stein vom Herzen.
    „Können wir jetzt umschalten?.“, fragt sie.
    Wir nehmen wieder das Gespräch mit Dennis und Bianca auf. Beim Heimgehen halten sich Verena und Dennis zum ersten Mal bei den Händen, ein wunderschönes Bild. Durch das Grau meiner verwundeten Seele, die durch Verenas Verstehen schon im Genesen ist, beginnt die Sonne der Freude über das Glück der beiden hindurchzuscheinen.
     

Donnerstag, 23. August
    Heute ist die Stimmung völlig verwandelt. Meine innere Freude ist wieder da und durchdringt auch die schwierige Zeit und die leidvollen Erfahrungen der letzten Tage. Dennis und Verena brechen früh auf, um beim Frühstück im Parador, dem staatlichen Luxushotel am Kathedralenvorplatz, an der Pilgerspeisung teilzunehmen, was immer nur zehn Pilgern, heute auch den beiden, gelingt. Dennis schlägt anschließend vor, in die Markthallen unterhalb der Pension zu gehen. Das tun wir auch in ganz entspannter Laune. Die Spannungen zwischen Verena und mir sind weg. Es wird ein schöner Tag voller Friedlichkeit. Wir bummeln über den Markt, bestaunen die Vielfalt, besichtigen später das Kloster San Martin de Pinario. Wir schauen, beraten über das Gesehene in gleicher Eintracht wie oft zuvor in schönen Kirchen am Weg. Wie immer hilft uns die gute Bibelkenntnis von Dennis weiter.

     
    Es geht auf 16 Uhr zu, da verlasse ich die anderen, um meinen Besuch bei St. Jakobus zu machen. Während ich in der Warteschlange stehe, denke ich an die vielen Begegnungen am Weg und bete für alle, die meine Pilgerschaft unterstützt haben, zu Hause und unterwegs. Alle Situationen vom Beginn, durch die verschiedenen Orte Frankreichs hindurch bis zum Ende kommen mir wieder in den Sinn und nach und nach auch alle Personen, die mir geholfen haben und auch diejenigen, die mir aufgetragen haben, am Grab des Apostels für sie zu beten. Bald kann ich hinter dem Hochaltar hinaufsteigen und umarme wie viele Millionen Jakobspilger vor mir die Statue des Apostels und küsse sie. Ein kurzer, ergreifender Moment. Das ist, so sagt man, das Ende der Pilgerschaft.
     
    Verena, Dennis, Bianca und ich essen zusammen bei der Pilgerspeisung im Parador zu Abend. Dann begleiten wir Bianca ein Stück des Wegs zum Bus, denn sie fährt nach Madrid, um von dort aus heimzufliegen. Ich denke für mich, dass unter für mich günstigeren Umständen vielleicht eine ähnlich herzliche Verbindung zu ihr hätte wachsen können, wie Dennis und vor allem Verena sie zu Bianca entwickelt haben.
     
    Dann gehen wir zur Kathedrale, wo um 21 Uhr ein Pilgergebet
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