Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lasst uns froh und grausig sein

Lasst uns froh und grausig sein

Titel: Lasst uns froh und grausig sein
Autoren: Friederike Schmöe
Vom Netzwerk:
Achseln.
    »Ich weiß nicht recht«, sagte er und sah sich zu mir um. »Der hat wohl ’n bisschen zu lang in der Mülltonne gewühlt.«
    Nelly lachte– über mich! Und Sladko stimmte ein. Sie starrten auf mein verwundetes Ohr, auf die Blechsterne, auf die Schleife. Sie lachten sich über die Folie kaputt, unter der ich fror, weil mein Fell immer noch nicht getrocknet war.
    Ein kluger Mann sieht ein, wenn er verloren hat. Ich bellte ein paarmal und schlich von dannen.
    Sie hatte nichts verstanden. Später würde ich sagen, sie hätte mich nicht verdient, aber für den Moment war ich viel zu verletzt. Ich traute mich nicht, in meinen Unterschlupf zu kriechen, aus Angst, Sladko könnte mich dort vertreiben. Die Liebe hatte mich heimatlos gemacht. Ich erwog, bei Roy Trost zu suchen, aber seine Belehrungen hätten mich um den Verstand gebracht. Ich zog die Straße entlang, winselte wegen der Schmerzen in meinem aufgeschlitzten Ohr. In einem windgeschützten Eck versuchte ich, die Folie abzukriegen. Sie klebte an meinem Fell. Wütend begann ich, daran herumzubeißen. Fetzen von Plastik verhakten sich in meinen Zähnen. Ich würgte sie heraus. Ein Mann kam vorbei und starrte mich neugierig an. Ich knurrte. Er trat nach mir. Schnell rannte ich weg. Die Blechsterne schleiften hinter mir über die Straße. Bis zum Einbruch der Dunkelheit verkroch ich mich in einer Garage. Dann beschloss ich, zu Roy zu ziehen, nur für ein paar Tage. Ich hoffte, dass er gerade nichts mit einer Katze hatte. Allein bekam ich die Schleife nicht ab. Sie zog bei meinen Versuchen, sie abzuwickeln, nur noch enger um meinen Hals. Auch die Blechsterne hatten sich in meinem Fell verhakt.
    Müde und frierend trottete ich den altbekannten Weg entlang. Ich kümmerte mich nicht um die Leute, die ihre letzten Einkäufe erledigten. Statt von Nelly, träumte ich einen Tagtraum von einem warmen Land.
    Menschen gingen sehr schnell an mir vorbei. Sie nahmen keine Notiz von meinem brennenden Ohr und meinen zerbrochenen Sehnsüchten. Die meisten hatten es eilig. Ich einerseits auch. Ich wollte die dämliche Verpackung loswerden. Andererseits graute mir vor Roys Vorhaltungen.
    »Und der Orinoco?«, fragte eine Kinderstimme.
    »Das ist der schönste Fluss der Welt«, sagte ein Mann.
    Ich wurde hellhörig. Die beiden rochen nach Anisplätzchen.
    »Wo ist der denn?«, fragte der Junge.
    »In Südamerika«, antwortete der Mann.
    Südamerika! Ich begann ernsthaft, Gedanken an eine Auswanderung auszubrüten. Mal sehen, was Roy dazu sagte. Orinoco … das klang kühn und stolz und heldenhaft. Vielleicht würde ich den Fluss eines Tages sehen und riechen und hören.
    »Fahren Schiffe auf dem Fluss?«, wollte der Junge wissen.
    »Klar, sogar Hochseeschiffe«, sagte der Mann. »Hör mal …«
    Das Kind wollte noch eine Menge Dinge mehr über den Orinoco wissen, aber sein Vater hörte nicht mehr hin. Ich erwartete, dass sie bald an mir vorbei sein würden, als seine Stimme plötzlich auf Höhe meiner Ohren zu mir herüberwehte. »Tsötsötsö«, machte er.
    »Papa«, rief der Junge, »sind Haie im Orinoco?«
    Ich gab der Versuchung nach und drehte mich um. Er sah mich aufmerksam an. Er roch gut. Besser als Nelly. Und hunderttausendmal besser als Sladko. Ich schnüffelte.
    »Hej, du bist ja verletzt«, sagte der Mann.
    »Papa…«
    »Schau mal«, sagte der Mann zu seinem Sohn. »Da ist ein Hund.«
    Ich witterte meine Chance. Unbewusst. Ich dachte gar nicht nach. Ich winselte.
    »Der hat sich geschnitten«, sagte der Junge und kniete neben seinem Papa nieder. Ich winselte noch mal.
    »Warum hat er Sterne um den Hals?«, fragte der Junge.
    Stolz wedelte ich ein klein wenig mit meinem Schwanz. Der Knirps war clever! Er hatte erkannt, dass es Sterne waren.
    »Da hat sich irgendeiner einen Scherz mit dem armen Kerl erlaubt«, sagte der Papa.
    Das stimmte nun nicht ganz. Oder eigentlich doch. Ich winselte erbarmungswürdig. Der Mann kratzte Reste von Folie aus meinem Fell.
    »Können wir ihn nicht mitnehmen?«, fragte der Junge.
    Mir wurde ganz heiß. Mitnehmen!
    Der Kleine streichelte mich vorsichtig.
    »Ob er jemandem gehört?«
    »Er hat kein Namensschildchen um den Hals. Er hat nicht mal ein Halsband«, sagte der Mann und löste die Schleife. Dankbar leckte ich ihm die Hand.
    »Nehmen wir ihn doch mit, bitte!«
    »Wir müssen uns aber erkundigen, ob jemand ihn vermisst, Ole«, sagte der Mann.
    »Der gehört bestimmt niemandem«, sagte Ole überzeugt. »Schau mal, wie dreckig
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher