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Lasst Kinder wieder Kinder sein - Winterhoff, M: Lasst Kinder wieder Kinder sein

Titel: Lasst Kinder wieder Kinder sein - Winterhoff, M: Lasst Kinder wieder Kinder sein
Autoren: Michael Winterhoff
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moderner Erziehungsstil bezeichnet wird.
    In Schule und Kindergarten lautet das Zauberwort heute »Angebot«. Den Schülern werden Angebote gemacht, und zwar ab der ersten Klasse bzw. schon davor im Kindergarten. Das muss nicht schlecht sein, solange sich die Wahlmöglichkeiten bei Kindergarten- und Grundschulkindern im Bereich von Unterentscheidungen befinden. Wenn Angebot jedoch bedeutet, und in steigendem Maße scheint das heute so zu sein, dass etwa der komplette Vormittag im Kindergarten vom Kind selbst strukturiert werden soll oder der Grundschüler selbstständig entscheidet, wann er beispielsweise seine Wochenhausaufgaben macht, wird es schwierig. Selbst viele Erwachsene haben Probleme damit, sich über einen längeren Zeitraum selbstständig sinnvoll zu organisieren,
und sind dankbar dafür, wenn es eine gewisse Struktur gibt, in deren Rahmen sie sich bewegen können. Wie soll dann diese komplette Selbstständigkeit bei Kindern funktionieren, deren psychische Entwicklung noch in vollem Gange ist, denen Erfahrungswerte fehlen und die sich an den Erwachsenen nicht mehr orientieren können?
    Wir müssen bei unserem Blick auf Kinder zu diesen scheinbar einfachen Fragen zurückkommen. Wir müssen uns wieder selbst fragen, ob wir Kinder noch Kinder sein lassen oder ob wir ihnen nicht häufig etwas aufbürden, was für sie zu schwer ist, sie in ihrer Entwicklung behindert und bedroht.
    Bereits im Jahr 2006 berichtete die Weltgesundheitsorganisation WHO in einer Studie davon, dass annähernd 20 Prozent der Kinder zwischen elf und 16 Jahren an Phänomenen wie Übelkeit, Kopfschmerzen oder Schlafstörungen litten. Mittagsmüdigkeit wurde bei etwa 30 Prozent der befragten Schüler festgestellt.
    Auch in dieser Altersgruppe ist es so, dass sich Stress immer körperlich und seelisch zeigen kann: Kinder zeigen dann einerseits körperliche Erscheinungen wie Magenschmerzen, Schweißausbrüche oder Kopfschmerzen und eben Ein- und Durchschlafstörungen; die andere Seite ist die psychische Symptomatik – Erschöpfung, Angstzustände oder große Gereiztheit können hier auftreten. Je länger diese Erscheinungen zu beobachten sind, desto eher besteht die Gefahr, dass psychosomatische oder funktionelle Krankheiten daraus entstehen. Der Drang zum Stören in Gruppen, soziale Auffälligkeit in Form von Aggressivität und destruktiven Reaktionen können ebenso die Folge sein wie ein totaler Rückzug. Antriebslosigkeit und Selbstisolation sind
hier die Ausdrucksform. Die natürliche Einbettung dieser Kinder in ihr soziales Umfeld ist oft ernsthaft gefährdet.
    Kinder sind ein Ruhepol
    »Dass wir wieder werden wie die Kinder, ist eine unerfüllbare Forderung. Aber wir können zu verhüten suchen, dass die Kinder werden wie wir.« 4
    (Erich Kästner)
     
    Wenn Sie Kinder haben, gerade kleinere, werden Sie die Situation kennen: Plötzlich ist das Kind, das sich vielleicht gerade noch wegen irgendeiner Kleinigkeit beschwert hat, in seinem Zimmer verschwunden und man hört für längere Zeit gar nichts mehr. Wenn man zwischendurch mal nachschaut, findet man ein völlig in eine bestimmte Tätigkeit versunkenes Wesen vor, dem die Welt in diesem Moment so egal ist, dass auch ihr Untergang nicht bemerkt werden würde. Egal, ob das Kind sich ein Buch anschaut, eine CD hört, puzzelt oder malt: Es konzentriert sich nur auf diese Tätigkeit, blendet alle äußeren Einflüsse aus und genügt sich mit dem, was es tut, selbst.
    Wie in dem eingangs erwähnten Zitat von Erich Kästner gesagt: Wir werden diesen Zustand für uns nicht wieder in
dieser perfekten Weise herstellen können. Das Kind, das von der Hektik der Welt noch nichts weiß, weicht irgendwann dem Erwachsenen, der sich dieser Hektik nicht komplett entziehen kann. Der zweite Teil des Kästnerschen Satzes jedoch taugt zumindest als erstrebenswerte Utopie, die den Blick dafür schärft, was wir Kindern antun, wenn wir früh ihre Ruhe gefährden.
    Kinder haben ein natürliches inneres Gleichgewicht, das durch äußere Einflüsse gefährdet wird, vor allem durch übermäßigen Druck. Was man dabei nicht unterschätzen darf, gerade im Unterschied zu Erwachsenen, ist die Tatsache, dass Kinder sehr viel über die Haut wahrnehmen. Sie spüren im wahrsten Sinne des Wortes Stimmungen und Schwingungen, und diese übertragen sich relativ ungefiltert auf die kindliche Psyche. Ein positives Beispiel kann etwa ein sehr kleines Kind mit einem Schreianfall sein, das von einem Erwachsenen auf den Arm
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