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Land des Todes

Land des Todes

Titel: Land des Todes
Autoren: Alison Croggon
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Ich würde Sie sein wollen, selbst wenn es bedeutete, Ihre jämmerliche, fade Seele zu haben, und das für nur einen einzigen Blick … Einen einzigen flüchtigen Blick … Und Sie? Sie sind blind für Ihr unverschämtes Glück. Mein Gott, ich könnte Sie dafür umbringen …«
    An diesem Punkt bestand mein einziger Gedanke darin, von dort wegzugelangen, und ich muss zugeben, dass ich meinen Stolz vergaß und die Flucht ergriff.
    Einen Tag später bin ich immer noch erschüttert. Dieser Mann ist unbestreitbar von Sinnen und eine Gefahr für jeden in seinem Umfeld. Ich bin zutiefst froh, dass meine Abreise in zwei Wochen eine weitere Begegnung unwahrscheinlich werden lässt. Kurz schilderte ich mein Abenteuer Anna. Sie erklärte mir, dass ich versehentlich über seinen Treffpunkt mit seiner toten Geliebten gestolpert sei und dadurch seinen Zorn erregt habe, und sie meinte, solange ich jenen Ort meiden würde, sollte ich in Sicherheit sein. Allerdings fürchte ich angesichts seiner unübersehbaren Eifersucht, weil ich diesen Geist gesehen hatte, dass er erneut an mich herantreten könnte.
    Ich befolgte Aron Lemagas Anweisungen und träufle jeden Abend ein wenig der grünen Flüssigkeit aus der Glasampulle auf mein Kissen und meine Zimmertür. Es war mir bislang töricht erschienen, auch jede Schwelle im Haus einzuölen wie ein verängstigtes altes Weib, weshalb ich diesbezüglich bis gestern Nacht etwas nachlässig gewesen war. Und doch scheinen mich diese Maßnahmen vor bösartigen Mächten geschützt zu haben, auch wenn sie das wiederholte Auftreten von Albträumen nicht ganz verhindern konnten.
    Jetzt befürchte ich, dass mich dieser Wahnsinnige hier angreifen könnte, doch Anna zeigt sich angesichts dieser Vorstellung so wenig beeindruckt, dass ich mich beruhigt fühle. Ich schlug vor, einige stramme Burschen zur Bewachung des Hauses anzuwerben, aber Anna hält das für unnötig. Sie sollte ihren eigenen Master doch hinlänglich kennen, um die Gefahr zu beurteilen, oder?
    Doch nun zu glücklicheren Gedanken. Den Großteil der Zeit, die ich an das Haus gefesselt war, habe ich dem Manuskript meines Gedichtbands gewidmet, der mich mit reichlich technischen Herausforderungen konfrontierte, um mir die Stunden auf angenehme Weise zu vertreiben. Ich glaube, dass mein angeborenes Talent, dessen Regung ich seit Langem in mir spüre, nun endlich voll erwacht ist! Manchmal fühle ich, wie mich eine geradezu überirdische Kraft durchströmt, als wäre ich das Gefäß eines Gottes. Nicht ich bin es, der spricht, sondern die Muse der Poesie, die sich zu meinem Ohr beugt und in einer Sprache solcher Erhabenheit und Macht flüstert, dass mich bisweilen Ehrfurcht erfasst.
    Ich harre ungeduldig meiner Rückkehr in die Stadt, um meine Leistungen S… zu zeigen; ich bin sicher, sie wird davon genauso angetan sein, wie ich es bin. Dies sollte genügen, um mich als mehr als einen unbedeutenden Dichter in den mittelmäßigen Annalen eines unbeachteten Landes zu etablieren. So viel zu jenen kurzsichtigen Kritikern, die solchen Anstoß an meiner originellen Ausdrucksweise nahmen und meineReime so verhöhnten: Werden sie es wagen, über diese Wucht der Inspiration zu spotten? Ich werde an mich halten müssen, um in der Stunde meines Triumphs nicht mit dem Buch vor ihren Gesichtern zu wedeln. Gewiss werden selbst ihre umnachteten Gemüter aus ihrer stinkenden Dunkelheit erweckt. Gewiss lässt sich mein Genie nun nicht mehr länger verleugnen.
Elbasa · 23. Mai
    Mein lieber Grosz,
    Ich habe mittlerweile meinen zweiten Monat in diesem gottverlassenen Weiler verlebt, und ich bin auf die Rückkehr nach Hause so erpicht, wie ich je war, hierher zu kommen. Ich habe festgestellt, dass eine Auszeit von der Stadt herzlich wenig an Bereicherungen zu bieten hat, abgesehen davon, dass man das zivilisierte Leben besser zu schätzen lernt.
    Die unveränderliche und beschränkte Gesellschaft, eine unfreundliche Landschaft und die grimmigen Gesichter der Bevölkerung haben sich verschworen, um mich in höchst schmerzliche Wehmütigkeit zu stürzen. Wie du aus meinen früheren Briefen weißt, habe ich die eine oder andere Anekdote, die ich in jenen mondänen Lokalen zum Besten geben kann, an die ich mittlerweile mit inniger Nostalgie zurückdenke, aber ich habe entdeckt, dass man auch zu viel Frieden haben kann. In meinem ganzen Leben war mir noch nie so langweilig!
    Angesichts meiner Verzagtheit, hierher zu reisen, kann ich dich förmlich lachen sehen.
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