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Land der guten Hoffnung

Land der guten Hoffnung

Titel: Land der guten Hoffnung
Autoren: Unbekannter Autor
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- im Glauben, dass ich noch immer die Verteilung von Nahrungsmitteln, Kleidung, Decken, Medikamenten und Zelten in Hochwasser-, Dürre- und Erdbebengebieten koordinierte.
    Der Dampfer umkurvte mit gedrosselter Maschinenkraft das Naturschutzgebiet der Insel Imchen und tuckerte zwischen Enten, Schwänen und Blesshühnern auf die Anlegestelle Kladow zu. Docs alter Kleinbus parkte auf der Uferstraße. Ich ließ den ganz eiligen Passagieren und dem Pulk der Fahrradfahrer den Vortritt und ging dann in Ruhe von Bord.
    Doc wartete am Ende der Landungsbrücke. Für einen wie mich, der sich mit seinem durchschnittlichen Erscheinungsbild abgefunden hat, ist jeder Auftritt von Doc weit im roten Bereich und mit mehreren Ausrufezeichen versehen. Alles an der Frau ist XXL - nicht nur Größe und Gewicht. Zur Abwechslung trug sie die rot gefärbten Haare im Scheitel geteilt und über den Ohren zu zwei buschigen Zöpfen zusammengebunden. Der Overall war seit langem das einzige Kleidungsstück, das Doc als für sich tauglich akzeptierte. Sie besaß ein halbes Dutzend in verschiedenen Materialien und Farben. Diesmal trug sie die blaue Breitcordvariante. Und dann die Stiefel: Gummi - der rechte grün, der linke gelb. Der Goldschneidezahn, den ihr ein Amateurzahnarzt in Laos verpasst hatte, blitzte mir entgegen. Docs Sparlächeln. Ich durfte mich geehrt fühlen. Mehr Herzlichkeit brachte die Frau in der Öffentlichkeit einfach nicht zu Stande.
    „Pünktlich wie immer.“ Sie hielt mir ihre Rechte hin.
    Ihr erbarmungsloser Schraubstockgriff beim Händeschütteln brachte mich schon lange nicht mehr aus der Fassung. Wir gingen zum Bus - das heißt: Doc schritt energisch voran, sicher, dass man ihr folgte. Die Tür auf der Beifahrerseite ließ sich nur von innen öffnen. Auch das war normal. Verblüffend war allerdings, den Sitz vom üblichen Müll befreit zu sehen.
    „Bilde dir nur nicht ein, ich hätte wegen dir sauber gemacht.“ Bevor der Bus richtig vom Fleck kam, war Doc bereits im dritten Gang.
    „Keine Angst, ich kenne meinen Stellenwert.“
    Nur wenn Doc ihre jährliche Familienrallye vorbereitet, mistet sie auch den Innenraum gründlich aus - wohl wissend, was fünf Kinder und ein von Weingummi abhängiger Ehemann pro hundert Kilometer Autobahn an Abfall produzieren. Diesmal sollte es zu einem Rockkonzert von Eric Burdon und seiner Band gehen. Irgendwo in Süddeutschland.
    Stuttgart oder Freiburg. Doc hatte es am Telefon erwähnt, aber es war mir entfallen. Der ganze Aufwand war absurd. Gegen Mitternacht losfahren. Tagsüber bei Bekannten ein paar Stunden schlafen, am Samstagabend das Konzert, und am Sonntagmorgen zurück nach Berlin. Ich war dankbar, nur das Haus hüten zu müssen. Nichts gegen Rockmusik! Aber größere Menschenmengen waren mir schon immer zuwider.
    „Warum wartest du nicht einfach, bis dein Liebling mal wieder in Berlin auftritt?“ Ich schüttelte den Kopf.
    „Ist mir viel zu riskant.“ Doc schnaubte wie ein Ackergaul, der das Zuggeschirr verweigert. „Wer weiß, wie lange er es überhaupt noch macht.“
    „Wenn es die Rolling Stones wären, könnte ich den Kraftakt noch nachvollziehen.“
    „Gigantomanie ist nichts für mich.“
    Mein Seufzen gab ihr Recht.
    Doc scheuchte den Bus die Steigung zur Dorfkirche hoch und bog nach links auf die Sakrower Landstraße ab.
    „Luftdruck, Öl, Wasser?“
    „Nerv mich nicht, Helm! Ich muss unterwegs sowieso noch tanken.“
    „Reserverad?“
    „Was ist das denn... ? “
    Lucy leistete ihren Wachdienst.
    Die Steinbacher Kampfgans erwartete Doc und mich mit gedämpftem Schnattern am Tor. Das bedeutete freies Geleit. Für Fremdlinge hatte sie andere Töne auf Lager. Keck musterte sie mich, hob ihre grau melierten Flügel und plusterte ihre weiße Pumphose aus weichen Federn.
    In der Villa herrschte Aufbruchstimmung. Docs Kinder nahmen unser Eintreffen gar nicht richtig wahr. In der Küche packte Kurt, Docs Ehemann, Getränkedosen und Sandwichs in eine Kühltasche und begrüßte mich flüchtig. Edgar, der Graupapagei, war guter Dinge. Als Doc mich in die Wohnhalle führte, krächzte der Vogel mir ein „Alle Mann an Bord!“ entgegen und bekräftigte die Meldung mit dem schrillen Trillern einer Bootsmannsmaatenpfeife.
    Doc hatte zwei Dosen Bier aus der Küche mitgenommen, und wir setzten uns auf die Veranda mit Blick auf die grün umwucherten Havelgewässer. Das natürlich gewachsene Idyll stand im krassen Gegensatz zu der Neureichen-Kopie in Nieder Neuendorf, mit
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