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L'Adultera

L'Adultera

Titel: L'Adultera
Autoren: Theodor Fontane
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du gehst früh zu Bett und schläfst es aus. Und wenn wir 186
    uns morgen früh wiedersehen, wirst du mir vielleicht zustimmen, daß Lydia Bescheidenheit lernen muß
    und daß zehnjährige dumme Dinger, Fräulein Liddi
    miteingeschlossen, nicht dazu da sind, sich zu Sit-
    tenrichterinnen ihrer eigenen Frau Mama aufzuwer-
    fen.«
    »Ach, Ruben, das sagst du nur so. Du fühlst es an-
    ders und bist zu klug und zu gerecht, als daß du
    nicht wissen solltest, das Kind hat recht.«
    »Es mag recht haben. Aber ich auch. Und jedenfalls
    gibt es Ernsteres als das. Und nun Gott befohlen.«
    Und er nahm seinen Hut und ging.
    Melanie wachte noch, als Rubehn wieder nach Hause
    kam. Aber erst am andern Morgen fragte sie nach
    der Konferenz und bemühte sich, darüber zu scher-
    zen. Er seinerseits antwortete in gleichem Ton und
    war wie gestern ersichtlich bemüht, mit Hilfe lebhaften Sprechens einen Schirm aufzurichten, hinter dem er, was eigentlich in ihm vorging, verbergen konnte.
    So vergingen Tage. Seine Lebhaftigkeit wuchs, aber
    mit ihr auch seine Zerstreutheit, und es kam vor,
    daß er mehrere Male dasselbe fragte. Melanie schüt-
    telte den Kopf und sagte: »Ich bitte dich, Ruben, wo bist du? sprich.« Aber er versicherte nur, »es sei
    nichts, und sie forsche, wo nichts zu forschen sei.
    Zerstreutheit wäre ein Erbstück in der Familie, kein gutes, aber es sei einmal da, und sie müsse sich
    damit einleben und daran gewöhnen«. Und dann

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    ging er, und sie fühlte sich freier, wenn er ging.
    Denn das rechte Wort wurde nicht gesprochen, und
    er, der die Last ihrer Einsamkeit verringern sollte, verdoppelte sie nur durch seine Gegenwart.
    Und nun war Ostern. Anastasia sprach am Oster-
    sonntag auf eine halbe Stunde vor, aber Melanie war froh, als das Gespräch ein Ende nahm und die mehr
    und mehr unbequem werdende Freundin wieder
    ging. Und so kam auch der zweite Festtag, unfestlich und unfreundlich wie der erste, und als Rubehn über Mittag erklärte, »daß er abermals eine Verabredung
    habe«, konnte sie's in ihrer Herzensangst nicht länger ertragen, und sie beschloß, in die Kirche zu gehen und eine Predigt zu hören. Aber wohin? Sie
    kannte Prediger nur von Taufen und Hochzeiten her,
    wo sie, neben frommen und nichtfrommen, manch
    liebes Mal bei Tisch gesessen und beim Nachhause-
    kommen immer versichert hatte: »Geht mir doch mit
    eurem Pfaffenhaß. Ich habe mich mein Lebtag nicht
    so gut unterhalten wie heute mit Pastor Käpsel. Ist das ein reizender alter Herr! Und so humoristisch
    und beinahe witzig. Und schenkt einem immer ein
    und stößt an und trinkt selber mit und sagt einem
    verbindliche Sachen. Ich begreif' euch nicht. Er ist doch interessanter als Reiff oder gar Duquede.«
    Aber nun eine Predigt! Es war seit ihrem Einseg-
    nungstage, daß sie keine mehr gehört hatte.
    Endlich entsann sie sich, daß ihr Christel von Abend-gottesdiensten erzählt hatte. Wo doch? In der Niko-
    laikirche. Richtig. Es war weit, aber desto besser. Sie 188
    hatte so viel Zeit übrig, und die Bewegung in der
    frischen Luft war seit Wochen ihr einziges Labsal. So machte sie sich auf den Weg, und als sie die Große
    Petristraße passierte, sah sie zu den erleuchteten
    Fenstern des ersten Stockes auf. Aber ihre Fenster waren dunkel und auch keine Blumen davor. Und sie
    ging rascher und sah sich um, als verfolge sie wer, und bog endlich in den Nikolaikirchhof ein.
    Und nun in die Kirche selbst.
    Ein paar Lichter brannten im Mittelschiff, aber Melanie ging an der Schattenseite der Pfeiler hin, bis sie der alten, reichgeschmückten Kanzel gerad' gegen-
    über war. Hier waren Bänke gestellt, nur drei oder
    vier, und auf den Bänken saßen Waisenhauskinder,
    lauter Mädchen, in blauen Kleidern und weißen
    Brusttüchern, und dazwischen alte Frauen, das graue Haar unter einer schwarzen Kopfbinde versteckt, und die meisten einen Stock in Händen oder eine Krücke
    neben sich.
    Melanie setzte sich auf die letzte Bank und sah, wie die kleinen Mädchen kicherten und sich anstießen
    und immer nach ihr hinsahen und nicht begreifen
    konnten, daß eine so feine Dame zu solchem Gottes-
    dienste käme. Denn es war ein Armengottesdienst,
    und deshalb brannten auch die Lichter so spärlich.
    Und nun schwieg Lied und Orgel, und ein kleiner
    Mann erschien auf der Kanzel, dessen sie sich, von
    ein paar großen und überschwenglichen Bourgeois-
    begräbnissen her, sehr wohl entsann und von dem
    sie mehr als einmal in ihrer übermütigen Laune
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