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Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich

Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich

Titel: Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich
Autoren: Rainer Wekwerth
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dem sie lebten. Freiheit fand er nur in den umliegenden Wäldern, zu Hause hüllte er sich in stille Verzweiflung, die jede Ritze seiner Kindheit auszufüllen schien.
    Das Bild seiner Mutter tauchte in seinem Geist auf. Das ehemals glänzende schwarze Haar nun so grau und stumpf wie der Blick in ihren Augen. Er sah die Hoffnungslosigkeit darin, wenn sie nach vierzehn Stunden harter Arbeit heimkehrte und die leeren Schnapsflaschen hinaus in den Mülleimer trug. Gebeugt von der Last ihres Lebens bezahlte sie den Preis dafür, sich in diesen Mann verliebt zu haben.
    Warum gehst du nicht?, hatte er sie jeden Tag stumm angeschrien. Warum verlässt du ihn nicht?
    Sie war geblieben, seinetwegen. All die Jahre. Und nun war es zu spät, um noch einmal von vorn anzufangen.
    Ich habe so viele Fragen an dich, Mutter, und jetzt fühle ich mich, wie du dich jeden Tag gefühlt haben musst. Ist das hier meine Strafe, dass ich dich im Stich gelassen habe?
    Jebs Atem ging stockend. Er fühlte, wie sich seine Lunge verkrampfte, sich sein Brustkorb scheinbar zusammenzog. Heiser röchelte er. Mit den Händen umklammerte er seinen Hals, so als könne er ihn zwingen, sich zu öffnen.
    Dann wurde es um ihn herum plötzlich dunkel. Schlagartig verengte sich seine Kehle. Keuchend versuchte er in der Finsternis, Luft zu holen, doch sosehr er auch verzweifelt seinen Brustkorb heben wollte, um erlösenden Sauerstoff in seine Lunge zu lassen … es fehlte ihm jede Kraft. Es war, als ob sein Körper gegen ihn selbst rebellierte, als ob er Jeb ersticken wollte. Er hätte gern geschrien, brachte aber keinen Ton heraus.
    Als es wenig später wieder heller wurde, lag Jeb reglos am Boden.
    Er sah nicht die Buchstaben und Zahlen, die nun über die Wände wanderten. Er nahm den auftauchenden Countdown nicht wahr, seine verkrampften Finger hatten versucht, sich in den nackten Boden zu krallen. Er rührte sich nicht.
    Plötzlich veränderte sich das Licht zum zweiten Mal und ein rotes Leuchten erfasste die Wände. Ein jaulender Ton erklang. Jeb zuckte zusammen, er hob den Kopf, seine Lippen formten beständig stumme Worte. Sein Blick war verschwommen, doch er spürte, was geschah.
    Langsam versanken lautlos die Wände um ihn herum im Boden. In jede Richtung breitete sich eine scheinbar endlose, leere Fläche aus, über der ein helles Licht zu schweben schien. Jeb spürte, wie Sauerstoff in seine Lungen drang, sein Kopf war leer, er war unfähig zu denken. Über allem lag das Rauschen des Blutes in seinen Adern. Aber etwas trieb ihn an, sich zu bewegen, aus diesem Gefängnis zu fliehen. Mühsam und ächzend schob er seinen Körper ein Stück vorwärts. Wie ein verletztes Tier kroch er dem Licht entgegen.

L eón erwachte. Ein seltsamer Ton hatte ihn geweckt. Als die Wände sich bewegten, sprang er blitzschnell auf die Füße und stellte sich in der Mitte des Raumes auf. Er drehte sich um seine eigene Achse, mit den Augen suchte er instinktiv alle Richtungen nach Feinden oder Gefahren ab. Doch da war nur Leere, eine weiße Fläche. Er machte einen Schritt vorwärts, und als nichts geschah, ging er zu der Stelle, an der eine der Wände im Boden verschwunden war. Er bückte sich, fuhr mit den Fingern über den glatten, fast makellosen Fußboden. Es war nichts zu spüren. Es war, als hätten ihn nie Wände umgeben.
    León richtete sich wieder auf und sah sich langsam und sorgfältig um.
    Eine leere Fläche, die sich in alle Richtungen vor ihm ausbreitete. Es schien keinen Horizont zu geben oder eine Wand jenseits dieser Fläche. La nada. Nein, das hier war mehr als nichts. El infierno blanco.
    Leóns Gedanken drehten sich im Kreis. Was hatte diese leere Fläche zu bedeuten? War sie schon immer da gewesen, hinter den Mauern seines Raumes? Oder gab es vielleicht sogar noch mehr Räume, die er jetzt nur nicht sehen konnte, weil ihre Wände fehlten?
    Während er sich ratlos um die eigene Achse drehte, entdeckte er in der Ferne eine Bewegung. Eigentlich war es mehr ein Schatten, der ein winziges Stück von rechts nach links gewandert war, aber instinktiv wusste León, dass dort in der Ferne ein Mensch war. Vielleicht sogar jemand aus der Gruppe? León legte beide Hände um den Mund und rief, so laut er konnte. »Hallo!«
    Keine Reaktion.
    Er brüllte noch einmal aus vollem Hals.
    Sinnlos, so würde er nicht weiterkommen. León rannte los. Er jagte auf den Schemen zu.
    Woher willst du wissen, dass dieser Schatten kein Feind ist? León schüttelte den Gedanken ab,
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