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Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Titel: Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.
Autoren: Stanislaw Lem , Daniel E. Mroz
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an all die berechtigten Vorwürfe, die der Trurl aus dem Computer zweifellos erheben würde, verließ ihn jeglicher Mut, und seine Hand sank wie gelähmt herab. Er ließ alles stehen und liegen und stürzte in solcher Hast aus der Werkstatt, daß sein Aufbruch einer Flucht gleichkam. Draußen im Garten ließ er sich für einen Augenblick auf dem knorrigen Bänkchen gleich neben der blühenden Kyberberitzenhecke nieder, seinem Lieblingsplätzchen, das ihn in der Vergangenheit so oft zu fruchtbaren Gedanken inspiriert hatte. Heute jedoch konnte er selbst hier keine Ruhe finden. Die ganze Gegend war in das Licht des Mondes getaucht, den er einst zusammen mit Klapauzius zusammen am Firmament montiert hatte – gerade deswegen rief der majestätische Glanz der Gestirne wehmütige Erinnerungen wach, Erinnerungen an die Zeit seiner Jugend: Der silberne Satellit war ihre erste selbständige wissenschaftliche Arbeit, für die beide Freunde von ihrem Herrn und Meister, dem ehrwürdigen Cerebron, seinerzeit in einem feierlichen Festakt vor der ganzen Akademie ausgezeichnet worden waren. Als er an seinen weisen Erzieher dachte, der dieser Welt schon längst Lebewohl gesagt hatte, fühlte er sich von einem unklaren Impuls, den er vorerst nicht zu deuten wußte, vorwärtsgetrieben, öffnete die Gartenpforte und ging hinaus ins freie Feld. Die Nacht war wunderbar: Frösche, offensichtlich mit frischen Batterien bestückt, sagten unter einschläferndem Gequake ihre Abzählreime auf, und auf dem silbrig glänzenden Wasser des Teiches, an dessen Ufer er einherging, zeigten sich leuchtende konzentrische Kreise, Spuren von Kyberkarpfen, die bis dicht unter die Wasseroberfläche schwammen und ihre dunklen Lippen wie zum Kuß öffneten. Trurl jedoch nahm von alledem nichts wahr, er war tief in Gedanken versunken, deren Sinn er nicht kannte, und dennoch schien seine Wanderung ein Ziel zu haben, denn er war keinesfalls überrascht, als ihm eine hohe Mauer den Weg versperrte. Bald stieß er auf ein schweres, schmiedeeisernes Tor, nur einen Fußbreit geöffnet, so daß er sich mühsam hindurchzwängen mußte. Im Innern war die Dunkelheit noch schwärzer als auf freiem Feld. Düstere Silhouetten ragten links und rechts des Weges empor – altertümliche Grabmäler, wie man sie schon seit Jahrhunderten nicht mehr baute. Hin und wieder löste sich ein Blatt aus der Höhe der umstehenden Bäume und streifte im Hinabfallen verwitterte Statuen oder grünspanüberzogene Zenotaphe. Eine Allee von Barockdenkmälern spiegelte nicht nur die Entwicklung der Friedhofsarchitektur wider, sondern auch die Etappen der physischen Umstrukturierung derer, die den ewigen Schlaf unter metallenen Grabplatten schliefen. Eine Epoche war zu Ende gegangen, mit ihr auch die Mode kreisförmiger Grabsteine, die bei Dunkelheit phosphoreszierten und an die Meßinstrumente eines Schaltpults erinnerten. Trurl setzte seinen Weg fort, wobei an den gedrungenen Statuen der Homunculi und Golems; schon befand er sich in einem Neubauviertel dieser Stadt der Toten, sein Schritt jedoch wurde immer schleppender, immer zögernder setzte er einen Fuß vor den andern, denn der vage Impuls, der ihn hierher geführt hatte, war dabei, die Form eines konkreten Plans anzunehmen, eines Plans, den er kaum auszuführen wagte. Schließlich blieb er vor der Einfriedung eines Grabmals stehen, das durch die Strenge seiner geometrischen Formen Kälte und Nüchternheit ausstrahlte, besonders aber durch eine sechseckige Grabplatte, die fugenlos in einen Sockel aus nichtrostendem Stahl eingepaßt war. Während er noch zögerte, glitt seine Hand bereits verstohlen in die Jackentasche, in der sein Universaldietrich steckte, ein Instrument, das er immer bei sich trug; er öffnete die Pforte und näherte sich mit klopfendem Herzen dem Grab. Mit beiden Händen umfaßte er das Täfelchen, auf dem in schwarzen, schmucklosen Lettern der Name seines Lehrmeisters stand, und brachte es mit einer geschickten Drehung in die erforderliche Position, so daß es geräuschlos wie der Deckel einer Schmuckkassette aufschnappte. Der Mond war hinter einer Wolke verschwunden, und es war jetzt so finster, daß er die Hand nicht vor Augen sehen konnte; im Dunkeln ertasteten seine Fingerspitzen etwas, das sich wie ein Sieb anfühlte und dicht daneben einen großen, flachen Knopf, der sich zunächst nicht in seine ringförmige Einfassung pressen ließ. Schließlich drückte er ihn mit voller Kraft nieder und erstarrte, zu Tode
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