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Kullmann

Kullmann

Titel: Kullmann
Autoren: Elke Schwab
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eingeschlafen, aber nach zwei Stunden schellte gnadenlos der Wecker. Der Schmerz war so schlimm, dass sie alle Mühe hatte, aus dem Bett aufzustehen. Völlig übernächtigt fühlte sie sich, als sie durch den langen Flur in ihr Büro schlurfte. Sogar Beine und Gesäß schmerzten bei jedem Schritt. Dabei hatte sie doch tatsächlich gedacht, dass diese Phase endlich vorüber sei, als sie nach jeder Reitstunde sämtliche Muskeln spürte, von deren Existenz sie früher niemals auch nur das Geringste geahnt hatte.
    Hübner hatte ihre schlechte Verfassung sofort bemerkt und eilte ihr mit höhnischen Kommentaren hinterher. Anke wunderte sich über sein Verhalten. Inzwischen waren sie seit zwei Jahren getrennt. Ihre Beziehung war nur noch freundschaftlicher und kollegialer Natur, trotz Hübners steter Hoffnung, sie würden wieder ein Paar. Aber mit diesen abfälligen Bemerkungen über ihre Schmerzen nach dem Sturz vom Pferd verbaute er sich jede noch so kleine Chance! Dessen müsste er sich doch bewusst sein!
    Aber Anke hinderte ihn daran, in ihren Dienstraum einzutreten, indem sie ihm heftig die Tür vor der Nase zuschlug. Sie hatte keine Lust, mit ihm zu reden, wenn er in dieser Stimmung war.
    Als erstes kochte sie Kaffee, worauf Kullmann mit Sicherheit schon sehnsüchtig wartete. Während die schwarze Brühe knatternd durch den Filter lief, überlegte sie, welches schmerzende Körperteil sie zuerst massieren sollte. Aber sie entschloss sich stattdessen, sich so wenig wie möglich zu bewegen, weil nur dann der Schmerz nachließ.
    Mit einer Tasse Kaffee in der zitternden Hand betrat sie nach einer Weile Kullmanns Büro.
    Als Kullmann aufsah, versuchte er zu lächeln, aber als er Anke sah, fragte er erschrocken: »Was ist passiert?«
    »Ich bin gestern vom Pferd gefallen«, erklärte Anke abwinkend, womit sie Kullmann zum Lachen bringen konnte.
    »Sie kennen meine Überzeugung: Sport ist Mord!« Kullmann wirkte erleichtert. »Ich bin ja froh, dass Sie sich nicht verletzt haben. Schließlich sind Sie hier der Sonnenschein in diesen grauen Büroräumen. Was wäre ich nur ohne Sie?«
    »Sie sind gut«, tadelte Anke gespielt und ließ sich umständlich auf den Stuhl gegenüber vom Schreibtisch sinken, »Sie verlassen uns in einem halben Jahr. Und was bin ich dann ohne Sie?«
    »Ich gehe in Pension, das heißt aber nicht, dass ich nicht mehr da sein werde«, versicherte Kullmann.
    »Ja, das weiß ich, trotzdem werden Sie mir sehr fehlen«, bekannte Anke.
    »Zuerst müssen wir den Fall Luise Spengler zum Abschluss bringen. Vorher werde ich nicht zur Ruhe kommen!«
    Nachdenklich verließ Anke das Zimmer und begab sich an ihren Platz. Sie konnte Kullmanns Sorgen gut verstehen, da sie selbst am besten wusste, wie schwer es war, im Fall Spengler weiterzukommen. Diese zähe Arbeit vermischte sich mit ihren Bedenken, warum Kullmann so verbissen an seiner Überzeugung festhielt, dass Luise Spengler ermordet worden war. Diese Beharrlichkeit Kullmanns gab ihr das unbestimmte Gefühl, dass für ihren Chef mehr dahinter steckte als nur ein Fall, der bearbeitet werden musste. Aber mit dieser Vermutung hielt sie sich bedeckt, weil sie befürchten musste, Kullmann damit zu verärgern.
    Zunächst machte sie sich an die Arbeit, die auf ihrem Schreibtisch lag. Der Berg Akten wartete ohnehin schon lange darauf, von ihr bearbeitet zu werden, und wann war die Zeit günstiger als gerade jetzt. Ihre Verfassung fesselte sie regelrecht an den Stuhl, und deshalb wollte sie die Gelegenheit nutzen.
    »Na, du flottes Reitermäuschen!«, betrat Esche ihr Büro und schenkte sich ohne zu fragen Kaffee ein.
    »Spar dir deine blöden Kommentare«, konterte Anke böse.
    Heute trug Esche einen Anzug, dessen Marke Anke nicht kannte, weil sie sich bei den Edelklamotten nicht so gut auskannte. Tadellos erschien sein Aussehen. Er sparte nicht an protzigen Zutaten, trug auch heute wieder seine Goldkette, die Anke trotz ihres offensichtlichen Wertes nicht gefiel. Er sah aus wie ein Zuhälter. Und wenn sie gleichzeitig Esches Verhalten beobachtete, empfand sie diesen Vergleich gar nicht mal so unmöglich. Dieses modische Gehabe hatte er am Anfang seiner Dienstzeit noch nicht gezeigt, das wusste Anke genau. Erst in der letzten Zeit legte er immer mehr Wert auf seine äußere Erscheinung, wobei es schon verwunderlich war, wie er sich diesen Designerkram leisten konnte. Wenn er jedoch glaubte, damit seine Chancen bei ihr aufzubessern, dann täuschte er sich. Trotz seines
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