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Kullmann

Kullmann

Titel: Kullmann
Autoren: Elke Schwab
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geschehen.
    Erleichtert nahm Anke Rondos Zügel in die Hand und stieg wieder in den Sattel. Deutlich spürte sie, dass ihre Unsicherheit noch größer geworden war, aber die Reitlehrerin hatte ihr immer wieder geraten, nach einem Sturz schnell wieder aufzusteigen, weil man nur so das angsterregende Erlebnis des Sturzes vergessen könnte.
    »Rondo hat sich wirklich erschreckt«, erklärte die Reitlehrerin. »Ich habe Peter zwar angehalten, sich wenigstens während den Reitstunden an die Bahnregeln zu halten, aber es hat nichts genutzt. Die anderen Reitschüler und ich haben beschlossen, in die Halle auszuweichen.«
    Diese Idee fand Anke ganz erleichternd. Sie sah gerade, wie Peter wieder einem Reiter gnadenlos in den Weg ritt und diesen anschrie: »Du hast wohl schon wieder so viel gesoffen, dass du nicht mehr klar sehen kannst!« Der Mann tat aber so, als habe er nichts gehört und ritt unbeirrt weiter. Doch damit gab Peter sich nicht zufrieden. Wütend fügte er an: »Vergiss nicht, ich bin bei der Verkehrspolizei! Das, was du säufst, reicht locker für den Führerschein! Ein Anruf genügt!«
    Nun brachte der Mann sein Pferd zum Halten, schaute auf Peter Biehler und fragte ihn: »Willst du mir drohen? Das kann ich auch! Ich habe schon herausbekommen, wer dein Chef ist und glaube mir, noch so eine Bemerkung und ich werde deinem Chef mal einen Bericht erstatten, wie du dich als Bulle hier im Reitstall aufführst. Das hat Folgen für dich!«
    Diese Drohung überhörte Biehler. Unverdrossen ritt er das nächste Hindernis an.
    »Ist er das Hindernis überhaupt gesprungen, für das ich vom Pferd fallen musste?«, interessierte sich Anke nun, nachdem sie den Eindruck gewonnen hatte, dass Biehler sich ausnahmslos mit jedem im Stall anlegte.
    »Nein! Es war das Übliche, das Pferd hat verweigert!«, lachte Robert. »Jetzt meint er, dass du daran schuld bist!«
    »Klar, Biehler braucht jemanden, dem er die Schuld geben kann«, murrte Anke.
    »Weißt du, bei Leuten, deren Ansprüche von ihren Fähigkeiten sehr weit entfernt sind, fällt mir oft auf, dass sie anderen die Schuld für ihr Versagen zuweisen wollen«, erklärte Robert.
    Wieder ritt Peter den hohen Oxer an, gab seinem Pferd ordentlich die Sporen und sprang los. Zu Ankes Belustigung sprang Peter jedoch alleine, ohne sein Pferd. Der Schimmel schien schlauer als sein Reiter zu sein, denn er blieb vor dem Hindernis stehen und schaute seinem Reiter zu, wie er mit Wucht in die vielen Stangen donnerte und mit einem lauten Krachen auf dem Boden aufschlug.
    Anke konnte sich ihr Lachen einfach nicht verkneifen. Das geschieht ihm gerade recht, dachte sie.
    Obwohl sie noch nicht sehr viel vom Reiten verstand, erkannte sie ganz deutlich, dass Biehler kein Gefühl für Pferde hatte. Das Einzige, was er bereits besaß, war eine plumpe Überheblichkeit, die er nicht nur hier zeigte. Auf seiner Dienststelle verhielt er sich genauso. Von ihrem Kollegen Bernhard Diez erfuhr Anke regelmäßig, wie schwierig es war, mit ihm zusammenzuarbeiten.
    Sie ritt durch das Hallentor und fand Anschluss an ihre Abteilung. Durch den Sturz fühlte Anke sich etwas mulmig, aber sie ritt mutig die Stunde zu Ende.
    Spät am Abend schlenderte sie gemeinsam mit Robert zum Parkplatz, wo nur noch zwei Autos standen. Neben Roberts silbergrauem Mercedes-Geländewagen wirkte Ankes alter Polo noch kleiner als sonst.
    »Am Sonntag reitet Peter Biehler auf dem Turnier in St. Arnual. Was hältst du davon, wenn wir dort zuschauen? Es wird bestimmt ganz lustig«, schlug Robert zum Abschied vor.
    Als Anke Biehlers Namen hörte, erinnerte sie sich wieder daran, wie er sich auf dem Reitplatz aufgeführt hatte. Nun konnte sie nicht mehr umhin, Robert zu fragen: »Was meinte Peter eigentlich mit der Bemerkung »Erbschleicher«?«
    »Das ist eine lange Geschichte, die ich dir am Sonntag erzählen werde«, schlug Robert verschmitzt vor, so dass Anke der Verabredung zum Turnier zustimmte. Außerdem wollte sie wirklich wissen, wie Biehler sich auf einem Turnier schlagen wollte, wenn er es noch nicht einmal im Training schaffte, über einen Oxer zu springen.
    *
    Am nächsten Morgen kam Anke zum ersten Mal zu spät zur Arbeit. Die Schmerzen im Genick und in der Schulter hatten sie fast die ganze Nacht wach gehalten. Außerdem spürte sie einen äußerst ungewohnten und quälenden Schmerz in ihrer Brustmuskulatur. Eine Erinnerung an die kurzzeitige Verkrampfung, als sie um Luft ringen musste. Erst am Morgen war sie
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