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Küss den Wolf

Küss den Wolf

Titel: Küss den Wolf
Autoren: Gabriella Engelmann
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Haarsträhne aus dem Gesicht und setzte sich auf die Bettkante.
    Und dann fiel mir alles wieder ein. Zuerst tauchten nur einzelne Bilderfetzen vor meinem inneren Auge auf, doch dann war mit einem Schlag alles wieder da: das Badezimmer, meine Angst, diese schreckliche Angst, sterben zu müssen… Und Leo, der zu einem skrupellosen Irren mutiert war. Wie hatte ich auch nur eine Sekunde lang glauben können, in ihn verliebt zu sein?
    »Was ist mit Leo? Ist er okay?«, fragte ich mit zitternder Stimme. Meine Eltern wechselten einen bedeutungsvollen Blick. »Das hat doch Zeit, mein Schatz. Jetzt komm erst mal wieder auf die Beine, alles andere regelt sich schon«, versuchte Jacques abzuwiegeln und ich hatte plötzlich eine schreckliche Vermutung: dieser Knall, der wie ein Schuss geklungen hatte. »Bitte, sagt mir die Wahrheit«, flehte ich, obwohl ich nicht wusste, ob ich sie ertragen würde. »Ist er… ist er…?« Ich wagte nicht, meine Befürchtung laut auszusprechen.
    »Es tut mir sehr leid, Schatz, Leo ist tot. Die Polizei hat ihn erschossen, bevor er dich töten konnte.«
    Ich erinnerte mich an den brennenden Schmerz in meinem Arm.
    »Aber mich hat auch eine Kugel getroffen, oder nicht?«
    Jacques und Verena warfen sich wieder einen Blick zu. Dann ergriff Dad das Wort: »Wie uns berichtet wurde, grenzte das alles an ein Wunder, keiner kann sich das erklären. Als die Polizei die Wohnungstür aufbrach, hatte Leo eine Waffe auf dich gerichtet. Der eine Polizist wollte ihn in den Arm schießen, aber da hatte Leo dich auch schon als Schutzschild vor sich gezogen. Der Beamte drückte im gleichen Moment ab und seine Waffe war genau auf dich gerichtet. Aber irgendetwas muss die Kugel abgelenkt haben, denn sie schlug in der Wand hinter euch ein. Du musst einen Schutzengel gehabt haben, anders ist das nicht zu erklären. Der Schuss hat dich zwar leicht gestreift, aber die Wunde ist nicht tief, sodass du zum Glück nicht einmal ins Krankenhaus musstest, sondern ambulant versorgt werden konntest. Danach hast du dann sehr, sehr lange geschlafen…«
    Ich wusste, wer mein Schutzengel gewesen war, und konnte es kaum erwarten, Holla zu danken. »Aber wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass die Polizei plötzlich da war?«, fragte ich, während sich die vielen Informationen wieder einmal in meinem Kopf überschlugen. »Marc hatte sie verständigt«, erklärte Verena. »Er ist dir nach der Schule auf dem Rad gefolgt, weil er gesehen hatte, dass du von Leo abgeholt wurdest und in sein Auto gestiegen bist. Als ihm klar geworden war, dass ihr zu seiner Wohnung gefahren seid, bekam er Angst um dich und rief die Polizei. Nachdem er ihnen alles über seine Nachforschungen zu diesem Immobilienskandal erzählt hatte, beschlossen sie, den Dingen auf den Grund zu gehen und sich bei Leo umzusehen. Parallel dazu hatte ich mich schon gemeldet, weil ein anonymer Anrufer – wahrscheinlich Leo – gedroht hatte, dich zu töten, wenn ich den Verkauf des Grundstücks nicht unter Dach und Fach bringen würde.«
    Wie es schien, hatte nicht nur ich Schreckliches durchgemacht, sondern auch meine Eltern. Kein Wunder, dass mein Vater offenbar den nächsten Flug nach Hamburg genommen hatte, um so schnell wie möglich bei uns zu sein.
    Mit einem Mal wurden meine Augenlider tonnenschwer und ich spürte einen starken Druck auf der Brust. Im Grunde war zwar alles gut gegangen und ich war in Sicherheit – aber ich spürte auch, dass die Trauer und das Entsetzen darüber, was passiert war, drohten mir den Boden unter den Füßen wegzureißen. »Ich würde jetzt gern wieder ein Weilchen schlafen«, sagte ich deshalb und versuchte, meine Eltern mit einem Lächeln zu beruhigen. »Weckt mich einfach in ein, zwei Stunden, okay?«
    »Aber natürlich, Spätzchen«, sagte Verena und Jacques gab mir einen Kuss. Martini sprang aufs Bett und rollte sich um meinen Kopf, als wolle sie mich beschützen. Das sanfte Auf und Ab ihres Atems beruhigte mich ein wenig und kurz darauf glitt ich endlich in einen traumlosen Schlaf.

51.
    Vier Wochen später…
    Tränen verschleierten meinen Blick, als die Urne in die Grube gesenkt wurde. Von irgendwoher hörte ich die Stimme eines Grabredners, doch seine Worte wurden vom Wind an mir vorbeigetragen. Ich war froh, kein Teil der offiziellen Trauergemeinde zu sein, die Leo Lauterbach an diesem strahlenden Sonnentag zu Grabe trug. Meine einzige Möglichkeit, von ihm Abschied zu nehmen, bestand darin, abseits zu stehen und das Geschehen
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