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Küss den Wolf

Küss den Wolf

Titel: Küss den Wolf
Autoren: Gabriella Engelmann
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genommen und schließlich summend in den Schlaf gewiegt hatte wie früher, als ich klein war.
    »Schätzchen, aufstehen«, sagte Mum leise und hielt mir einen Becher grünen Tee unter die Nase. »Morgen kannst du so lange schlafen, wie du willst. Aber heute ist Freitag und wir müssen leider beide noch wichtige Dinge regeln.«
    Genau vor diesen wichtigen Dingen graute mir fürchterlich. Meine Mutter hatte zwar bereits gestern Nacht per E-Mail den Termin für die Unterschrift des Vorvertrags abgesagt, aber mir stand nun der weitaus schwierigere Teil bevor: Ich musste Leo sagen, dass Marc sein Spiel durchschaut hatte, und ihn zur Rede stellen. Keine Ahnung, wie er beziehungsweise die Firma Lauterbach auf Mums Mail reagieren würden.
    Kaum hatte ich mein Handy angeschaltet, hatte ich die Antwort:

    Ich muss dich dringend sehen!
    Das ist alles eine dreckige
    Verschwörung gegen mich.
    Glaub an mich und unsere Liebe, Pippa.
    Ich hole dich nachher von der
    Schule ab und wir fahren
    dorthin, wo du so gern bist…
    Ich bekam Gänsehaut, als ich Leos SMS las. Vielleicht sollte ich das alles besser telefonisch mit ihm klären? Andererseits: Wir hatten eine schöne Zeit miteinander gehabt und ich war es ihm schuldig, mir seine Version der Dinge anzuhören und ihm in die Augen zu schauen, wenn ich ihm sagte, dass ich nicht mehr mit ihm zusammen sein wollte.
    Ich versuchte, meine Angst zu ignorieren, und klammerte mich an die Gewissheit, dass Theodora Leo mochte. Ihre Menschenkenntnis hatte sie noch nie betrogen und auf ihren Instinkt war bis jetzt immer Verlass gewesen. Leo hatte vielleicht aus falschen Motiven gehandelt, aber er würde mir auf keinen Fall gefährlich werden.
    Oder etwa doch?
    Mein Herz klopfte bis zum Hals, als ich ihn sah.
    Er lehnte mit derselben Lässigkeit an der Tür seines Cabriolets wie damals, als er mich zum ersten Mal von der Schule abgeholt hatte und wir nach St. Peter-Ording gefahren waren. Nichts an seiner Miene oder Körpersprache deutete darauf hin, dass er unsicher war oder sich unwohl fühlte. Ich war erleichtert, das zu sehen, denn ich hatte schon befürchtet, er würde mit einem Blumenstrauß oder etwas ähnlich Kitschigem wedeln. Doch Leo sagte nur: »Hallo, Pippa, schön, dich zu sehen«, gab mir einen Kuss auf die Wange und hielt mir die Beifahrertür auf. Heute war es sonniger und wärmer als bei unserem letzten Ausflug. Der Sommer stand eindeutig vor der Tür. Nicht mehr lange und ich würde zusammen mit Mum zu Jacques nach Südfrankreich fliegen und das alles hier vergessen. Mein Vater hatte letzte Nacht versprochen, sich etwas einfallen zu lassen, um eine Lösung für Theodoras finanzielle Probleme zu finden, und ich vertraute darauf, dass ihm das gelingen würde.
    »Wohin fahren wir?«, fragte ich, um nicht weiter zu schweigen. Auch wenn mein Gefühl mir bereits sagte, dass Leo mich ans Meer bringen würde. »An den Strand, Pippa«, antwortete Leo und legte eine CD in den Player. »Aber leider müssen wir vorher noch kurz zu mir. Ich habe dummerweise etwas sehr Wichtiges für unser Picknick vergessen. Und es soll doch alles perfekt sein, nicht wahr?« Ich nickte stumm und war froh, dass die Musik unser erneutes Schweigen übertönte, bis wir bei ihm ankamen.
    »Bist du so lieb und kommst kurz mit rauf? Es geht leichter, wenn wir zu zweit sind«, sagte Leo mit einschmeichelnder Stimme, die plötzlich Alarmglocken bei mir läuten ließ. Doch ich beschloss, meine Angst zu unterdrücken und das Ganze einfach souverän hinter mich zu bringen. Da Holla versprochen hatte, auf mich aufzupassen und immer an meiner Seite zu sein, gab es wohl keinen Grund, sich Sorgen zu machen.
    Also folgte ich Leo und stieg die marmornen Treppen zu seiner Wohnung im dritten Stock hinauf. »Komm rein und mach’s dir einen Moment auf dem Sofa gemütlich, ich bin gleich so weit«, sagte Leo und verschwand in der Küche. Ich ging ins Wohnzimmer, wo sich mein ursprünglich mulmiges Gefühl plötzlich zu blanker Panik steigerte, ohne dass ich sagen konnte, warum.
    Ich hörte das Geklapper von Töpfen und Leos Fluchen, das so gar nicht in das Bild eines romantischen Ausflugs passte. Warum war ich bloß mit raufgegegangen?
    Vertrau auf deinen Instinkt, er wird dir den richtigen Weg weisen, hatte Theodora immer gesagt, also drehte ich mich um und ging entschlossen Richtung Tür.
    Ich wollte raus – und zwar sofort!
    »Was hast du vor?«, fragte Leo, der mich im Flur abfing. »Ist es wirklich so schwer zu tun, worum
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