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Kuenstlernovellenovellen

Kuenstlernovellenovellen

Titel: Kuenstlernovellenovellen
Autoren: Heinrich Mann
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unsinnige Annahme lag uns ebenso fern wie die andere, natürliche. Jedes, auch das allgemeinste Urteil war gelähmt, in seltsamster Weise die Hingabe an den Augenblick und an die Illusion vorbereitet. Für mich wenigstens war die Grenze zwischen dem wachen Leben und einer gesetzlosen Traumwelt vollständig ausgelöscht; aber wie ich später meinen Vater sagen hörte, war sie auch für ihn in jenem Augenblick stark verwischt.Meiner Spannung wurde durch die Haltung der beiden Handelnden, des Mädchens und des Löwen, nichts von ihrer Fieberhaftigkeit genommen. Die Unglückliche hatte ihre fatalistisch tragische Pose nicht verloren, ihre Arme waren schlaff herabgesunken, sie war sogar einen Schritt auf die Bestie zugetreten, zweifellos, wie man sich später sagte, um auf die gewohnte Weise ihre Macht über den Löwen auszuüben. Er aber kam von seiner blutigen Mahlzeit und fühlte sich frei: ihre Herrschaft war gebrochen. Sie mußte es verstanden haben, denn sie ging, von dem Tiere mit längeren, schon zu Sprüngen werdenden Schritten gefolgt, um eine der papierenen Palmen herum, sich stets im rechten Winkel kurz umwendend, wohl mit der Absicht, einen größeren, über das Ziel hinausgetanen Satz des Tieres zum Entkommen zu benutzen. Die überlegteste Darstellung hätte keine anderen Bewegungen gefunden als hier die von der höchsten Lebensnot geschärfte Geistesgegenwart. Es war ein stiller, fürchterlicher Kampf, der nicht von Dauer sein konnte. Sie blieb schwer atmend stehen, und ihr Blick, den sie nicht von dem Verfolger gelassen, erhielt einen namenlosen Ausdruck; es zog sich darin wie der Krampf einer übermenschlichen Willensanstrengung zusammen. Der Löwe zog sich zwei Schritte zurück, dann schlich er vorsichtig um sie herum, bis sie ihn nicht mehr sah. Sie versuchte sich zu wenden, sie schwankte, da saß er ihr schon im Nacken. Es waren Sekunden gewesen von der Art, von der nur ganz wenige aufeinander folgen können, die aber dennoch nicht zu zählen sind. Ich hatte mir noch keinerlei Vorstellung von dem Geschehen gebildet, als ich neben und hinter mir alles schwanken, einige stürzen fühlte.Zugleich erhielt ich selbst einen Ruck, der mich umwarf. Zwischen den gespreizten Beinen eines Mannes hervor tauchte ich sofort wieder auf - wie das Stehaufmännchen von seinem Blei, so ich von dem Instinkt in die Höhe gerissen, daß noch nicht alles beendet sei. In dem Augenblick aber, während ich die Szene aus dem Gesicht verloren, war das übrige geschehen. Als ich wieder hinblickte, sah ich den Löwen mit ausgestreckten Gliedmaßen auf der Seite liegen, und auf seiner Flanke stand ein Fuß, es war der des Sergeanten Matthiessen. Das andere Bein war weit zurückgeschoben, so daß sich der Mann steif aufrechthalten konnte, obwohl sich seine Hand nahe am weit aufgesperrten Maul der Bestie befand, in deren Rachen sein Hirschfänger bis ans Heft steckte. Sein Kopf sah mit einer gewissen steifen, steinernen Neigung auf das besiegte Tier nieder, die Brust trat mächtig heraus mit einer unnatürlichen Anstrengung der Muskeln. Wo hatte ich doch diese seltsame Haltung schon gesehen? Ja wahrhaftig, das war ja das Bild Sankt Georgs des Drachentöters auf der Mauer des Wachthauses.
Der Bann war gebrochen, und die Menge umringte mit lautem Schrecken und Staunen die Bühne, auf der eine wirkliche Tragödie der erdichteten gefolgt war. Durch die Anrufe schien der Sergeant zu sich gebracht zu werden. Er ließ den Griff des Messers fahren, seine steifen Glieder lösten sich, begannen zu zittern, er stand in kläglicher Verwirrung da, seine runden Augen ganz ohne Verständnis rollend.
Der Arzt, der sich von dem schrecklich verstümmelten Körper des Mädchens zu ihm wandte, legte die Hand auf seine blaurote Stirn, aus der das angestaute Blut plötzlich abfloß, und erklärte es für ein Mirakel, daß den Mann nicht der Schlag getroffen habe. Wie er das denn so schnell gemacht habe, fragte man ihn. - Ja, das sei so gekommen, ja, er wisse selbst nicht. Ihm sei ganz verdreht zumut gewesen, als ob er hab' Komedi spielen, aber doch was mächtig Großes tun sollen, nur sei er gar nicht mehr er selbst gewesen, sondern ganz ein anderer.
,- Ein Held', sagte feierlich der Amtsvorsteher. In dem Maße, wie er sich erholte, leuchtete dem Sergeanten diese Auslegung, die zur allgemeinen Meinung wurde, ein, und er fand bald ein naives Vergnügen an dem schmeichelhaften Rufe, der ihm aus jener Begebenheit erwuchs.
Kurze Zeit darauf erhielt er die
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