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Kuenstlernovellenovellen

Kuenstlernovellenovellen

Titel: Kuenstlernovellenovellen
Autoren: Heinrich Mann
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Verdienstmedaille."

DAS STELLDICHEIN

    Die Märchen erzählen von Königen, die sich aufmachten, um eine Prinzessin zu freien, deren Existenz ihnen nicht einmal verbürgt war, deren Namen ein Sänger vor ihnen genannt hatte und um derentwillen sie über Einöden und durch Wälder irrten, auf die Gefahr hin, von Hexen verzaubert oder von Drachen verschlungen zu werden.
Der Maler Philipp Seegers hatte seit Jahren eine Frauenerscheinung wie eine farbige Ahnung mit der Seele geschaut. Sobald er die Akademie verließ, kannte er nur noch das eine Streben, sein Ideal zu porträtieren. Denn er fühlte, daß sie irgendwo leben und daß sie, oder vielmehr ihr Bildnis, sein Glück machen müßte. Ohne Irrfahrten und Gefahren zu bestehen wie die Märchenkönige, denen er nicht glich, fand er in der Tochter eines rheinischen Industriellen diejenige, die seine geheime Erscheinung zu verkörpern schien, und da er praktisch und korrekt wie ein junger Künstler war, entführte er sie in Kürze als seine Frau nach München. Nach Ablauf des ersten Ehejahres hatte er ihr Bildnis vollendet, mit dem es ihm seltsam erging. Obwohl die Wangen seiner Frau schimmerten, wie das wolkige Rot auf dem milchweißen Grunde des antiken Pfirsichmarmors schimmert, obwohl ihr Nacken frisch war und ihre blauen Augen süßträumerisch blickten, hatte das Porträt nichts von Marmorglanz, denn es dämmerte wie in Schleiern, nichts von Frische und Träumerei, denn der Hals, dessen Haltung oft so voll Ausdruck ist, klagte von gedankenschwerer Trauer, und die grünlichen Augen waren weit offen in eine blasse Welt von Angst gerichtet. Der Maler nahm es sich zu Herzen, die gewollte realistische Auffassung verfehlt zu haben. Aber seine Freunde erklärten das Bild, wenn schon ohne Porträtwert, für ein koloristisches Geniewerk. Nach der Ausstellung, auf der das Gemälde, das nun „Ein Traum" hieß, Erfolg gehabt hatte, war der Ruf Seegers' als „eines der kräftigsten Talente unserer aufstrebenden symbolistischen Schule" befestigt. Auch auf dem Pariser Salon fand im folgenden Frühjahr das Werk viele Beachtung, und ein Florentiner Kunstfreund bezahlte es hoch. Als dieser es im Herbst in seiner Heimatstadt ausstellte, erfuhr es dort eine so begeisterte Aufnahme, daß der Käufer den Künstler zu sich entbot, um über weitere Aufträge mit ihm zu verhandeln. Seegers kam und sonnte sich im Erfolge. Als er sich eines Tages von den Freunden und Bewunderern, die ihn wochenlang umringt hielten, bereits verabschiedet hatte, fühlte er sich unvermuteterweise zur Abreise ganz unlustig, und es geschah nur halb unfreiwillig, daß er den Zug versäumte. So kehrte er noch einmal und diesmal allein zurück und schlug den Weg in die Cascine ein.
Die Cascine, ein Garten, der zwischen duftenden Hecken am Arno weithin in blauenSonnendunst hineinzieht,dient der Florentiner Gesellschaft und den eleganten Fremden nicht nur als Promenade, sondern auch als ihr gemeinsamer Salon. Hier empfangen die Damen am Wagenschlag den Besuch der Herren, und alle Welt kennt einander. Da die distinguierten Europäer sich zu bestimmten Zeiten immer wieder an denselben Orten zusammenfinden, so war es etwas Unerhörtes, wovon Florenz noch lange gesprochen hat, an jenem Tage eine Fremde von unzweifelhafter Vornehmheit zu bemerken, deren Namen niemand wußte. Sie erntete gleichwohl, wie sie schlank und weiß vorüberfuhr, fröstelnd unter dem Hermelinkragen, den sie trotz des warmen Oktobertages über ihre blaßviolette Bluse gelegt hatte, hier und da einen zögernden Gruß, den sie nachlässig erwiderte, ohne hinzublicken. Nur einmal sah sie zur Seite, und ihre Augen trafen genau in die eines Mannes, der allein an einem Tisch auf der Terrasse des Restaurants Doney saß. Jener stutzte, und während er langsam sein Haupt entblößte, hielt er ihren Blick so fest, daß sie gezwungen war, den Kopf ein wenig zu wenden, als ihr Wagen bereits vorüber war.
Wie dieselbe Fremde am Abend verspätet bei der Hoteltafel erschien, fand sie den Platz zu ihrer Linken von eben dem Herrn eingenommen, der sie so aufmerksam begrüßt hatte. In freier Art, wiewohl unmerklich nervös, redete sie ihn an.
„Wir sehen uns nicht zum ersten Male, doch weiß ich wirklich nicht, ob die Begrüßungen, die ich während der Promenade erfuhr, ohne Verwechslung mir galten, da ich seit zehn Jahren nicht in Florenz war." „Gnädige Frau dürfen gar nicht daran zweifeln", entgegnete ihr Nachbar. „Man wagt Sie bereits mehr oder weniger
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