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Kühlfach zu vermieten - Profijt, J: Kühlfach zu vermieten

Titel: Kühlfach zu vermieten - Profijt, J: Kühlfach zu vermieten
Autoren: Jutta Profijt
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Rechtsmediziner schneidet nämlich nicht
     nur an irgendwelchen Leichen herum, er schreibt auch dauernd Berichte über das, was er in den Toten gefunden hat. Also Pistolenkugeln,
     abgebrochene Messerspitzen, Gift oder sonstige Dinge, die da eigentlich nicht hingehören. Das heißt, dass der Schlitzer morgens
     ins Büro fährt, seine Post durchsieht, dann in sein Auto steigt, zum Sektionssaal fährt, eine Leiche in ihre Kleinteile zerlegt,
     wieder in sein Auto steigt, in sein Büro zurückfährt und seinen Bericht schreibt. Und es wäre dumm, wenn er im Büro feststellte,
     dass er sich ganz gedankenverloren einen Augapfel in die Tasche gesteckt hat, weil er dann nämlich wieder ins Auto und auf
     die Bahn muss, um den seinem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben.
    Okay, zugegeben, ich habe noch nie erlebt, dass ein Rechtsmediziner sich einen Augapfel in die Tasche gesteckt hätte, aber
     wenn er es täte, wäre es ganz schön umständlich, den wieder an seinen Platz zu bringen.
     
    Ich war also, wie Sie sicher zwischen den vielen Zeilen herausgelesen haben, nicht begeistert. Ich hing, wegen meiner bereits
     erwähnten Einsamkeit, zwar sehr an Martin, aber nicht an seinem Auto, und so konnte ich mirnicht vorstellen, dass ich in den nächsten Monaten mehrmals täglich mit ihm in seiner Ente durch die halbe Stadt schunkeln
     würde, um von seinem Büroarbeitsplatz zu seinem Sektionsarbeitsplatz und wieder zurück zu gurken. Aber nur bei den ganzen
     Leichen herumzuhängen, hatte ich auch keine Lust. Ich seufzte.
    »Nun reiß dich doch zusammen, Pascha«, dachte Martin in meine Richtung. »Immerhin kannst du einfach durch die Luft zischen.
     Dir sollte die Distanz zwischen Büro und Sektionstrakt von uns allen doch am wenigsten ausmachen.«
    Mit einem Naturwissenschaftler kann man über solche Dinge nicht diskutieren, das hatte ich inzwischen gelernt, also hielt
     ich die Klappe und verzog mich zu den Kühlfächern. Das Fach mit der Nummer vier war mal meins gewesen, aber momentan lag dort
     ein Mann, der vorgestern auf der Straße tot umgefallen war. Einfach so. Und er war nicht der Einzige. Das lag am Wetter und
     damit kommen wir zu einer weiteren Katastrophe.
     
    Seit zwei Wochen waren die Temperaturen nicht mehr unter siebenundzwanzig Grad gefallen. Auch nachts nicht. Die Kühlfächer
     füllten sich langsam, aber sicher mit Hitzetoten, Martin und die Kollegen kamen mit den Obduktionen schon gar nicht mehr nach,
     zumal ja alle auch im Umzugsstress steckten. Der Kerl in Nummer vier war also immer noch nicht obduziert, und seitdem waren
     schon wieder vier neue Leichen rangekarrt worden. Ich war gespannt, wie die Schlitzer den Rückstand wieder aufholen wollten.
     
    Zunächst holte niemand etwas auf, stattdessen buckelten alle ihre Kartons zu den Sammelstellen, an denen das Umzugsunternehmen
     sie abholen und über Nacht zum neuenGebäude fahren sollte. Natürlich machten alle Mitarbeiter lange Gesichter, weil sie ihre Kartons durch die Gegend schleppen
     müssten. Besonders hart traf es die Laborratten. Da auch die Labore im Bürotrakt untergebracht waren, zogen sie mit um. Und
     sie mussten sich, neben ihren Akten, auch um die Mikroskope und Apparate selbst kümmern. Die Dinger sind schwer wie Mafiapantoffeln
     und empfindlich wie ’ne Tussi mit PMS, und so hatten alle nicht nur mit der Anstrengung zu kämpfen, sondern auch den Angstschweiß
     auf der Stirn stehen. Wenn so ein Karton kentert, sind Zigtausend Euro geschreddert, und ohne Instrumente kann die Arbeit
     nicht weitergehen. Die Mitarbeiter waren also nicht nur sauer wegen der Schlepperei, sie konnten auch die Ignoranz des neuen
     Chefs nicht begreifen, der die Funktionsfähigkeit des Instituts aufs Spiel setzte, um ein paar tausend Euro zu sparen. Noch
     dazu Geld, das vom Budget längst genehmigt war.
    »Ein Chef sollte nicht nur rechnen, sondern auch denken können«, hörte ich von einem Labormitarbeiter, der ein Glotzoskop
     in eine von zu Hause mitgebrachte Kuscheldecke einschlug, bevor er es mit Panik im Blick zur Sammelstelle schleppte.
    »Und selbst zum Rechnen braucht er elektronische Hilfe«, entgegnete ein Kollege. »Das kann der Gemüsetürke bei mir um die
     Ecke besser.«
     
    Ich kann jammernde Akademiker nicht ertragen, also verließ ich das Institut und streifte durch die Stadt. Es war Donnerstag,
     der Tag der neuen Filme. Im Kino konnte ich mich fast so fühlen wie damals, als ich noch in meinem Körper durch die Gegend
     lief.
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