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Kuehler Grund

Titel: Kuehler Grund
Autoren: Stephen Booth
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von der gleißenden Sonne in den dunklen Schatten machte es schwierig, irgendwelche Einzelheiten im Unterholz zu erkennen. Hinter den brusthohen Brombeersträuchern und Weidenröschen hätten ganze Trupps Soldaten auf der Lauer liegen können, die bloß darauf warteten, dass ein argloser Bobby im blauen Overall auf sie stieß, lediglich mit einer Holzstange bewaffnet, an der schleimige Schnecken klebten.
    In der Nähe keckerte ein Fasan und flog aufgeschreckt davon. Weiter entfernt war ein anderes Geräusch zu hören. Die Bäume standen zu dicht, um sagen zu können, aus welcher Richtung es kam. Es war das Bellen eines Hundes, einmal nur.

2
    Charlotte Vernon hatte sich seit einer Viertelstunde nicht mehr bewegt. Vielleicht lag es an den Tabletten oder dem Alkohol, vielleicht auch an den wilden Spekulationen, die ihr durch den Kopf schossen, jedenfalls wechselten sich schon den ganzen Tag Phasen der Unrast mit Augenblicken vollständiger Lähmung ab. Immer wenn es ihr scheinbar gelungen war, ihre Gedanken über einen kurzen Zeitraum hinweg vollkommen auszublenden, schlug erneut eine Welle der Angst über ihr zusammen. Das Warten war ihr zum Lebensinhalt geworden.
    Charlotte stand auf der Terrasse, an die Steinbalustrade gelehnt, und sah dem Hubschrauber nach, der über sie hinwegflog. Sie verfolgte die Bewegungen der Rotorblätter, als hoffte sie, in deren Flirren eine Botschaft lesen zu können. Auf dem Tisch neben ihr standen ein halbes Glas Bacardi und ein überquellender Aschenbecher mit zerdrückten Kippen, die Filter zinnoberrot verschmiert.
    Sie stand schon den ganzen Nachmittag auf der Terrasse und schien kaum zu bemerken, wie die Sonne nun allmählich hinter dem Haus verschwand und die Luft merklich kühler wurde. Sie hatte sich nur gerührt, wenn hinter ihr im Haus das Telefon geklingelt hatte. Dann hatten sich ihre Muskeln gespannt und ihre Finger die Balustrade fester umklammert, bis Graham den Hörer abnahm. Erst hatte sie sich angestrengt, sein Gemurmel zu verstehen, dann hielt sie sich die Ohren zu, als ob sie nichts davon hören wollte.
    Doch es waren immer nur Anfragen von Freunden oder sogar geschäftliche Gespräche gewesen, die Graham mit gesenkter Stimme erledigte, wobei er sich, mit einem Blick auf den Rücken seiner Frau, schuldbewusst abwandte. Er schien erleichtert, sie nicht ansehen zu müssen, vor der Bergkulisse der Witches, den Kopf zum Himmel erhoben, wie die Heldin eines Ritterromans, die auf Nachricht aus einer fernen Schlacht wartet.
    Nach dem letzten Anruf legte Graham den Hörer auf und wandte sich wieder um zur Terrassentür.
    »Das war Edward Randle von AET«, sagte er. »Er lässt dich grüßen. Und er wollte wissen, ob Martina und er morgen Abend trotzdem kommen sollen.«
    Charlotte sagte kein Wort. Nur das leise Surren der Ventilatoren und das ferne Bellen eines Hundes unten im Dorf waren zu hören.
    »Ich habe ihm natürlich zugesagt. Wir können sie schließlich nicht wieder ausladen. Das Leben geht weiter.«
    Graham fragte sich, ob sie ihn überhaupt gehört hatte. Sie war in ihrer eigenen Welt versunken, wo für Banalitäten wie Allied Electronics kein Platz war. Graham ging ein paar Schritte auf sie zu, unsicher, ob er sie berühren sollte. Vielleicht brauchte sie jetzt menschliche Nähe, vielleicht würde dadurch aber auch alles nur noch schlimmer werden. Er wusste es nicht.
    Er roch das Sonnenöl auf ihrer Haut. Ihr blond gefärbtes Haar hing glatt herunter, bis auf den Rand des Tuchs, das sie sich um die Schultern geschlungen hatte. Die Muskeln ihrer schlanken, gebräunten Beine waren straff gespannt. Graham unterdrückte das in ihm aufsteigende Verlangen. Vielleicht wäre seine Frau bis zum Abend wieder etwas empfänglicher für seine Avancen. Vielleicht auch erst morgen.
    »Hast du gehört, Charlotte?«
    »Können wir nicht einfach den Hörer daneben legen?«
    »Aber dann würden wir nichts hören … wenn es etwas Neues gibt.«
    »Wenn sie Laura finden, wolltest du sagen.«
    Charlotte klang müde, die Anstrengungen der letzten 48 Stunden forderten ihren Tribut, auch wenn sie das nur ungern zugeben würde.
    »Sie werden sie doch finden, Graham?«
    »Aber natürlich.«
    Seit zwei Tagen beschwichtigte Graham sie nun schon mit den gleichen Worten. Obwohl er sich um einen möglichst überzeugenden Ton bemühte, bezweifelte er, dass seine Frau ihm glaubte. Er glaubte sich ja selbst nicht.
    Der Hubschrauber beschrieb eine Kurve, und die Rotorblätter verschwanden hinter der
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