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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Autoren: Orlando FIGES
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Mehmet Pascha, der osmanische Statthalter von Jerusalem, innerhalb und außerhalb der Kirche Soldaten hatte postieren müssen, um die Ordnung zu wahren. Aber nicht einmal das hatte Schlägereien verhindern können.
    An diesem Karfreitag nun mussten die lateinisch-römischen Priester, die mit ihren Altardecken aus weißem Leinen eintrafen, feststellen, dass ihnen die Griechen mit ihren bestickten Seidendecken zuvorgekommen waren. Die Katholiken verlangten, den firman der Griechen zu sehen, also das Dekret des Sultans in Konstantinopel, das sie ermächtigte, ihr Seidentuch als Erste auf den Altar zu legen. Umgekehrt verlangten die Griechen, den firman der Lateiner zu sehen, der ihnen erlaubte, es zu entfernen. Eine Prügelei brach zwischen den Priestern aus, denen sich auf beiden Seiten rasch Mönche und Pilger anschlossen. Bald war die gesamte Kirche ein Schlachtfeld. Die rivalisierenden Gruppen von Gläubigen setzten nicht nur ihre Fäuste, sondern auch Kruzifixe, Kerzenhalter, Becher, Lampen und Weihrauchbrenner und sogar Holzstücke ein, die sie von den heiligen Stätten abrissen. Der Kampf wurde mit Messern und Pistolen fortgesetzt, die beide Seiten in die Grabeskirche eingeschmuggelt hatten. Als die Kirche endlich von Mehmet Paschas Wächtern geräumt wurde, lagen über vierzig Menschen tot auf dem Boden. 1
    »Sehet, was im Namen der Religion getan wird«, schrieb die englische Gesellschaftskommentatorin Harriet Martineau, die 1846 durch Palästina und Syrien reiste.
    Dieses Jerusalem ist für die Mohammedaner nach Mekka der heiligste Ort der Welt, und für die Christen und Juden ist es überhaupt der heiligste Ort. Was tun sie in diesem Heiligtum ihres gemeinsamen Vaters, zu dem sie alle es erklärt haben? Hier sind die Mohammedaner, begierig darauf, jeden Juden oder Christen zu töten, der die Omar-Moschee betritt. Dort sind die Griechen und lateinischen Christen, die einander hassen, dazu bereit, jeden Juden oder Mohammedaner zu töten, der sich in die Kirche vom heiligen Grab begibt. Und hier sind die Juden, die in der rachsüchtigen Sprache ihrer alten Propheten gegen ihre Feinde wettern. 2
    Die Rivalität zwischen den christlichen Kirchen verschärfte sich dadurch, dass die Zahl der Pilger nach Palästina im 19. Jahrhundert rasch anwuchs. Eisenbahnen und Dampfschiffe ermöglichten Massenreisen, womit die Region für katholische Touristengruppen aus Frankreich und Italien sowie für die fromme Mittelschicht Europas und Amerikas zugänglich wurde. Die verschiedenen Kirchen wetteiferten miteinander um Einfluss. Sie richteten Missionen ein, um ihre Pilger zu unterstützen, überboten einander bei Landkäufen, gründeten Diözesen und Klöster sowie Schulen, um die orthodoxen Araber (hauptsächlich Syrer und Libanesen), die größte, doch am wenigsten gebildete christliche Gemeinde im Heiligen Land, zu bekehren.
    »In den beiden letzten Jahren sind von der russischen, französischen, neapolitanischen und sardinischen Regierung erhebliche Geschenke nach Jerusalem geschickt worden, um die Kirche vom heiligen Grab zu schmücken«, meldete William Young, der britische Konsul in Palästina und Syrien, Außenminister Lord Palmerston im Jahr 1839.
    Es gibt viele Anzeichen für zunehmende Eifersucht und feindselige Gefühle zwischen den Kirchen. Die kleinlichen Streitigkeiten, die stets zwischen lateinischen, griechischen und armenischen Klöstern bestanden haben, waren von geringer Bedeutung, solange die Differenzen von Zeit zu Zeit dadurch beigelegt wurden, dass eines den türkischen Behörden eine höhere Bestechungssumme zahlte als das andere. Doch jene Tage sind vergangen, denn diese Länder sind nun nicht mehr gegen europäische Intrigen in Kirchenangelegenheiten gefeit. 3
    Zwischen 1842 und 1847 waren hektische Aktivitäten in Jerusalem zu beobachten: Die Anglikaner gründeten eine Diözese, die Österreicher stellten eine franziskanische Druckerpresse auf, die Franzosen richteten ein Konsulat in Jerusalem ein und steckten Geld in Schulen und Kirchen für die Katholiken; Papst Pius IX . berief erneut einen Einheimischen, den ersten seit den Kreuzzügen des 12. Jahrhunderts, zum lateinischen Patriarchen, der griechische Patriarch kehrte aus Konstantinopel zurück, um seine Kontrolle über die Rechtgläubigen zu festigen, und die Russen entsandten eine Kirchendelegation, die einen russischen Gebäudekomplex mit einer Herberge, einem Krankenhaus, einer Kapelle, einer Schule und einem Marktplatz einrichtete, um die
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