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Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Titel: Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
Autoren: Karlheinz Descher
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von Verhandlungen vor die Feste und in einen Hinterhalt. Während seine Bedeckung ins Gras biß, machte sich der Oberhirte Hals über Kopf davon. »Schon gerieten die Krieger beider Parteien aneinander«, berichtet Thietmar; »der im Wagen sitzende Erzbischof konnte zwar auf fliegendem Pferde entkommen, aber von seinen Leuten entrannen nur wenige dem Tode. Die siegreichen Slawen plünderten – es war am 2. Juli – gefahrlos die Toten aus und bedauerten nur das Entwischen des Erzbischofs.«
    Doch nicht genug damit. Ohne auf seine Ablösung, den Markgrafen Liuthar, Thietmars Onkel, zu warten, verließ Giselher, da sein Wachdienst inzwischen abgelaufen war, die Burg, begegnete unterwegs dem anrückenden Grafen, dessen Kommando sie nun unterstand – »empfahl sie ihm dringlich und zog ab«. Mittlerweile waren jedoch die Slawen in die unbewachte Feste gedrungen, hatten sie angezündet, und Liuthar fand sie, als er näherkam, bereits in Rauch und Flammen und »suchte vergeblich durch einen Boten, den Erzbischof zur Umkehr zu bewegen«. Der Prälat verweigerte jede Hilfe und kehrte heim. Der Graf aber vermochte das im Feuer stehende Kastell nicht zu löschen, mußte »das den Feinden offene Tor verloren« geben, sich dann beim Kaiser anklagen lassen und durch einen Eid vom Vorwurf der Schuld reinigen.
    Während dieser Feldzüge, auf denen Otto III. das Slawenland »schwer durch Feuer und Plünderung verwüstet hat« (incendio et magna depredacione vastavit), begleitete ihn auch der gewesene Erzbischof von Reims, Gerbert von Aurillac, der künftige Silvester II., der erste französische Papst. Ferner fochten seinerzeit im Osten u.a. Erzbischof Willigis von Mainz, trotz seines Alters, sowie Bischof Heinrich von Würzburg mit ihren Truppen, und besonders vorbildlich Bischof Ramward von Minden (996–1002), allen, selbst den Fahnenträgern, voran mit dem Kruzifix in der Hand und machtvoll gegen den Feind hetzend – »ein schönes Beispiel dieser kriegerischen Reichsbischöfe, die das Schwert ebenso zu tragen wußten wie das Kreuz« (Holtzmann). So fiel denn auch gerade damals von den slawischen Teufeln »eine sehr große Zahl«, und dem traurigen Rest jagte man die Beute ab. 15
    Nun hat man neuestens, ohne diese »immensen militärischen Aktivitäten« im Osten im geringsten herunterspielen zu wollen, doch davor gewarnt, dort allzu starre Fronten, systematisch vorbedachte Aktionen kriegführender Staaten zu sehen, eine Strategie der Rückeroberung oder gar mehr zentral gelenkte Ausgriffe. »Die Antriebskräfte scheinen weit eher der Drang nach Rache, die Gier nach Beute oder Tributen gewesen zu sein, die die sächsischen Markgrafen und Bischöfe nicht selten auch ohne den König und ohne seinen Auftrag tätig werden ließen« (Althoff). Das mag in manchen Fällen so, in andren anders gewesen sein; für uns – und die Opfer – sind diese Unterscheidungen nicht so relevant. Denn ob christliche Grafen, ob Bischöfe irgendwo eigenmächtig rauben und töten oder ob sie einer zentral gegebenen Weisung folgen – das wie jenes gehört ohne Zweifel zur Kriminalgeschichte des Christentums. 16
    Noch 997 hatte Otto III. gegen die Liutizen gekämpft. Doch als er in den Süden zog, als er der Italienpolitik den Vorzug gegenüber der Ostpolitik gab, und zwar unter dem Einfluß offenbar vor allem des Gerbert von Aurillac, des künftigen Papstes, wollte man Ruhe im Osten und schloß mit dem Feind Frieden. Vierzehn Jahre hatte man ihn unentwegt bekriegt, fast jährlich mindestens durch einen Waffengang, in manchen Jahren sogar mehrmals. Selbst die Böhmen und immer wieder die christlichen Polen wurden gegen die Heiden aufgeboten. Plötzlich aber ging es auch friedlich. Und nur wenige Jahre danach führte gar ein Heiliger, Kaiser Heinrich II., Seite an Seite mit den heidnischen Liutizen, drei lange und überaus blutige Kriege – wider die christlichen Polen, die seinem Vorgänger doch so nützlich waren, wie dieser freilich wohl noch mehr ihnen.
    (Dabei hatte man gerade damals, zur Zeit der Cluniazensischen Reformen, ausdrücklich den Gedanken verbreitet, daß die Christenheit eine Einheit sei und sich untereinander nicht bekriegen dürfe. So schrieb 994 in dem von Cluny reformierten Kloster Fleury an der Loire der gelehrte Abt Abbo, der mit seinem Diözesanbischof Arnulf von Orléans, Hugo Capets führendem Berater, erbittert stritt: »Echtes Rittertum bekämpft sich nicht gegenseitig im Schoß seiner Mutter, der Kirche, sondern richtet
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