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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger
Autoren: Robert Löhr
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bemerkte, wie sie die anderen damit ungewollt
ausgeschlossen hatte, fügte sie hinzu: »Die Bitte richtet sich natürlich an
alle Sänger«, lächelte Reinmar und Biterolf an und schlug vor Wolfram die Augen
nieder.
    »Zum Christfest wollen wir gemeinsam mit Euch die Messe feiern«, kündigte
Hermann an. »Am Tag davor wird es zur Unterhaltung aller ein Turnier im Hof der
Burg geben, ein Zweikampf Mann gegen Mann, und jeder, der ein Schwert führen
kann, ist eingeladen, sich mit meinen besten Rittern zu messen. Und morgen
Abend gebe ich ein Bankett. Es sollte eigentlich heute stattfinden, aber ein
letzter Sänger fehlt noch, Euren Zirkel abzurunden. Er ist offensichtlich unten
in Eisenach aufgehalten worden.«
    »Wer ist es?«, fragte Walther. »Hartmann von Aue?«
    »Der lässt sich entschuldigen.«
    »Heinrich von Morungen?«
    »Der Stümper? Aber nein.«
    »Wer ist es dann?«
    Hermann sah zu seinem Kanzler, ihm die Antwort zu überlassen:
»Heinrich von Ofterdingen.«
    Walther und Wolfram starrten den Schreiber an, als hätte er den
Teufel beim Namen genannt, dann den Landgrafen, dann einander. »Hoheit, das
kann nicht Euer Ernst sein«, versetzte Wolfram.
    »Warum denn nicht?«
    »Hattet Ihr nicht gesagt, keine Gaukler und Bänkelsänger?«
    »Heinrich von Ofterdingen ist weit mehr als das, Wolfram, und das
weißt du natürlich. Ich habe zu einem Gipfel die größten Dichter Deutschlands
geladen, und dazu zählt fraglos auch er. Er ist die fehlende letzte Blüte in
diesem schönen Kranz. Er vervollständigt Eure Runde.«
    »Nein, er sprengt sie auseinander«, widersprach Wolfram. »Ich kenne
ihn. Das ist sein Naturell. Eine Distel ist er im Blumenkranz, eine
Brennnessel. Macht Euch darauf gefasst, dass dieser gottlose Kerl jeden
Bewohner dieser Burg beleidigen wird, Euch eingeschlossen. Nicht einmal vor den
Damen wird er haltmachen, wenn er in der rechten Stimmung ist.«
    »Das bezweifle ich. Und dennoch mag er an meinem Hof tun und sagen,
was er will. Ihr habt am Tor den Helm mit dem offenen Visier gesehen, zum Zeichen,
dass jeder Gast willkommen ist und unter meinem Burgfrieden steht. Das schließt
auch Redefreiheit ein für ihn wie für Euch.«
    »Warum habt Ihr uns verschwiegen, dass der Ofterdinger kommt?«,
fragte Walther. »Hätte ich es gewusst, wäre ich nicht gekommen.«
    »Ich tat das eine wegen des anderen«, entgegnete Hermann. »Und um
die ganze Wahrheit zu sagen: Ich könnte mir keinen schöneren Abschluss dieses
Sängertreffens wünschen, als dass Ihr Euch unter meinem Dach endlich mit
Heinrich von Ofterdingen aussöhnt.«
    »Eher söhnt sich Paulus mit Saulus aus.«
    »Lasst es doch wenigstens auf den Versuch ankommen«, warf nun
Reinmar ein. »Begegnet ihm freundlich. Hört auf, schlecht von ihm zu sprechen.
Vielleicht ist er erwachsener geworden.«
    »Ich werde schlecht über den Ofterdinger sprechen, bis mein Atem
stinkt«, sagte Walther barsch. »Aber dass du ein gutes Wort für ihn einlegst,
wundert mich gar nicht.«
    »Weshalb? Weil ich im Gegensatz zu dir fähig bin, Vergangenes zu
vergessen?«
    Bevor Streit zwischen Walther und Reinmar ausbrechen konnte, wies
der Landgraf seine Diener an, neuen Wein einzuschenken und Walther die Füße zu
trocknen. Bald hatte sich die Gesellschaft in kleinere Gruppen aufgeteilt;
Sophia sprach mit Walther, Hermann mit Wolfram und Reinmar. Der Schreiber trat
lächelnd an Biterolf heran und fragte ihn nach seiner Meinung, den umstrittenen
Gast betreffend. Biterolf gestand, Ofterdingens Gedicht von den Nibelungen und
den Burgundern wie kaum ein zweites zu schätzen, den Verfasser aber bislang
immer für eine Art Phantom gehalten zu haben; eine unwirkliche, von zahlreichen
Legenden umrankte Figur, wie seinem eigenen Werk entsprungen.
    »Keine dieser Legenden«, sagte der Schreiber. »Heinrich von
Ofterdingen ist ein sehr realer, man möchte fast sagen: gewöhnlicher Mensch.«
    »Dann teilt Ihr die Ablehnung der anderen?«
    »Ausnahmslos. Ich schätze weder ihn noch sein Werk. Eine plumpe,
blutbefleckte Schauergeschichte, die nicht so sehr in Thronsälen etwas verloren
hat als vielmehr auf Marktplätzen.« Der Schreiber schüttelte sich regelrecht.
»Aber Ihr werdet ihn selbst erleben. Die meisten Menschen verachten Heinrich
von Ofterdingen. Es würde mich wundern, wenn es Euch anders ginge. Ein
selbstgefälliger, selbstsüchtiger Schönling, dem nichts etwas bedeutet außer
Applaus. Was ihm an Talent mangelt, das macht er durch Provokation wett. Die
Kunst ist
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