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Kreuzstein

Kreuzstein

Titel: Kreuzstein
Autoren: Ulrich Schreiber
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Vielleicht konnte er ja bei den Studenten noch ein paar Punkte sammeln. Immerhin wurde er gerade von der weiblichen Studentenschaft mit mehr Aufmerksamkeit bedacht als üblich, was vielleicht auch an Anja lag. Sie begleitete ihren Chef jedes Mal in die Vorlesung und sah ihn jetzt sehr interessiert an. Über den Vorfall im Labor hatten sie nicht mehr gesprochen, aber Allenstein kam es seitdem so vor, als ob Anja sich durchaus zu ihm hingezogen fühlte.
    »Ich kenne Sie aus der Zeitung.«
    Allenstein verzog das Gesicht. Gleichzeitig setzten die ersten vier Reihen ein triumphierendes Grinsen auf.
    »Sie haben viel im Gebiet des Mittelrheintales gearbeitet und kennen vermutlich die Verhältnisse dort am besten. Wir hatten heute am frühen Morgen einen ungewöhnlichen Felssturz in einem Steinbruch in der Nähe von Bad Honnef. Es hat einen Toten gegeben. Ich hoffe, das reicht an Erklärungen. Ich erwarte Sie umgehend.«
    Als Allenstein vor das Gebäude trat, fuhr bereits ein grauer Audi mit aufgesetztem Blaulicht vor. Die Begründung hatte ausgereicht. Anja bekam ihre Feuertaufe. Ohne Vorbereitung durfte sie die restliche Vorlesungszeit mit den Unterlagen ihres Chefs überbrücken.
    Eigentlich schade, dachte Allenstein. Ich hätte gern gesehen, wie sie sich schlägt.
    Die Begrüßung war knapp. Der Fahrer hieß Mark Weller und stellte sich als Mitarbeiter von Kommissarin Kronberg vor. Allenstein warf seine Geländeschuhe und den Geologenhammer vor den Beifahrersitz. Weller schaltete Blaulicht und Horn ein und drückte das Gaspedal durch.
    »Ist es denn so eilig?« Allenstein zog den Kopf ein, als er einen Mitarbeiter erkannte, der ihnen mit dem Fahrrad entgegenkam.
    »Ja«, erwiderte der Mann einsilbig, mit einem Unterton, der auf deutliche Unlust, etwas zu erklären, hinwies.
    Allenstein musterte ihn unauffällig von der Seite. Weller war etwa Mitte dreißig, durchtrainiert mit auffallend modisch frisierten Haaren. Das Tempo, das er durch die belebte Innenstadt vorlegte, schien er gewöhnt zu sein. Trotzdem wirkte er sehr konzentriert. Vermutlich lag es am Schnee, der sich mehr und mehr unter den Regen mischte. An einigen Stellen blieben bereits die ersten Flocken liegen.
    Allenstein fühlte sich unwohl bei Fahrten, die er selbst nicht unter Kontrolle hatte. In der rechten Wade meldete sich bereits der erste Anflug eines Krampfes, weil er automatisch immer mit bremste. Vielleicht lag es aber auch noch an den Nachwirkungen des Hangrutsches. Ein paar größere Brocken waren schließlich schon auf seinen Beinen gelandet. »Aber Sie können mir doch sicher sagen, wohin wir fahren? In der Gegend um Bad Honnef gibt es mehrere Steinbrüche.«
    Inzwischen hatten sie es bis zur Autobahn geschafft. Weller fuhr die Gänge bis in den roten Bereich aus, was dem Magen von Allenstein gar nicht gut bekam, vor allem, als er sich vorbeugte, um sich die Geländeschuhe zuzuschnüren.
    »Es geht durch Bad Honnef hindurch, von der Straße nach Aegidienberg rechts ab, das Tal entlang und dann noch den Hang hinauf.«
    »Das gibt es doch nicht. War der Felssturz etwa am Leyberg?«
    »Ja, ich glaube, das war der Name.«
    »Das haut mich jetzt aber um. Der Steinbruch steht im Verwitterungsrest eines alten Vulkans. An der Wand haben wir früher häufig Klettern geübt, weil sie einigermaßen sicher schien.«
    Allenstein war seit neun Jahren Geologie-Professor in Köln. Nach Jahren der Unsicherheit, nach der Habilitation und dem Kampf gegen die Konkurrenz, nach der Scheidung mit all ihren zerstörerischen Momenten war die Professur damals der Durchbruch für ihn gewesen. Mit dem Ruf auf den Lehrstuhl war alles vergessen, es war der Höhepunkt in seinem Leben. Helga war mitgekommen nach Köln. Sie hatten sich bei einer Klettertour auf einer Alpenhütte kennengelernt. Eine Mathematikerin, die kletterte. Er hatte es erst gar nicht fassen können. In ihrem Fach fand sie problemlos in Köln eine Stelle. Die ersten Jahre schwamm Allenstein im Glück. Finanziell unabhängig, intellektuell herausgefordert, erfolgreiche Forschung und eine Lebensgefährtin, mit der es richtig gut lief.
    Allenstein wurde schlagartig aus seinen Gedanken gerissen. Sie fuhren bereits durch Bad Honnef, als Weller auf einmal voll in die Bremsen stieg. Das ABS arbeitete an allen vier Rädern. Ein junger Punker hatte rückwärts aus einer Einfahrt auf die Straße gesetzt, unter ohrenbetäubendem Wummern der Lautsprecheranlage.
    »Den sollte ich doch gleich hochnehmen«, entfuhr es
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