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Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman

Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman

Titel: Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach
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erinnere mich noch gut, welche Ängste in mir hochgestiegen sind, als ich hörte, wie die Leute ihn Amedeo nannten. Ich habe befürchtet, dass er dem Islam abgeschworen hat, und keine Sekunde damit gezögert, ihn voller Angst und Sorge zu fragen: »Ahmed, bist du zum Christentum übergetreten?« Und er hat mir gut gelaunt geantwortet: »Nein.« Da habe ich erstmal ganz tief durchgeatmet und dann laut ausgerufen: »Gott sei’s gepriesen! Gott sei’s gepriesen!« Meine Sorgen waren schon berechtigt, weil man ja normalerweise den Namen ändert, wenn man eine neue Religion annimmt, so wie der berühmte Sänger Cat Stevens, der sich mit Yusuf Islam anreden lässt, seit er konvertiert ist.
    Sehen Sie nicht, was die Zeitungen über Ahmed schreiben? Als sie entdeckt haben, dass er ein Einwanderer und kein Italiener ist, waren sie schnell damit bei der Hand, ihn einen Mörder zu nennen. Schon klar, Ahmed hat ja den Fehler begangen, aus seinem heimatlichen Becken herauszuschwimmen. Alles ist fast genau so wie damals, als er einfach weg war und alle in unserem Viertel sehr erschüttert waren. Heute ist die Frage dieselbe wie damals: Was ist bloß mit Ahmed oder Amedeo, wie Sie ihn nennen, passiert?

Zehnter Wolfsgesang
    Samstag, 25 . März, 22 . 56 Uhr
    Was ist der Unterschied zwischen einer Taube und einem Raben? Bin ich ein Rabe, der eine Taube imitieren will? Wozu das Geheul? Zwei Gründe gibt es dafür: Schmerz oder Glück. Viele Einwanderer, die Außenseiter sind und ihre Wein- oder Bierflaschen im Park der Piazza Vittorio fest im Griff haben, hören mit ihrem traurigen Geheul nie auf, weil der Biss der Wölfin richtig weh tut. Hin und wieder ist das Geheul dasselbe wie Weinen. Ich hingegen heule vor Freude, riesengroßer Freude. Die Wölfin säugt mich gemeinsam mit den beiden Waisenkindern Romulus und Remus. Ich liebe die Wölfin und kann von ihrer Milch gar nicht lassen.
    Montag, 21 . Januar, 23 . 15 Uhr
    Als er meinen Namen »Ahmed!« rief, habe ich ihn nicht gleich erkannt. Ich fühlte eine Hand auf meiner Schulter und versuchte, mich zu erinnern. »Ich bin Abdellah, Kind deines heimatlichen Wohnviertels und Freund deines Bruders Farid.« Ich erinnerte mich schon kaum mehr an das Viertel, meinen Bruder Farid, an Algerien. Er verabschiedete sich und sagte: »Wir können uns am kommenden Freitag in der Großen Moschee sehen, dann gehen wir gemeinsam in ein marokkanisches Restaurant dort ums Eck und essen Couscous.« In diesem Augenblick erinnerte ich mich, wie ich mal in einem Anflug von Sehnsucht nach Couscous in ein arabisches Restaurant gegangen war und nach ein paar Löffeln alles wieder erbrochen hatte. Erst danach kam mir in den Sinn, dass Couscous wie Muttermilch ist und einen ganz eigenen Geruch hat, den man nur in Begleitung von Küssen und Umarmungen riechen kann.
    Mittwoch, 5 . September, 23 . 27 Uhr
    Ramadan ohne Bàgia ist trostlos! Was soll man den ganzen Tag aufs Essen und Trinken verzichten, um dann nach Sonnenuntergang allein zu essen? Wo ist die Stimme des Muezzin? Wo der Buraq 10 ? Wo das Couscous, das Mama mit ihren Händen zubereitete? Wo sind die anderen Köstlichkeiten? Wo ist der Qalb alluz, die Zlabia? Wo die Harira? Wo der Maqrout? Wie soll ich denn die Ramadan-Abende in den Arbeiterwohnvierteln vergessen, von denen wir erst spätnachts nach Hause kamen? Die Stimme meiner Mutter, die mit ihrer großen Zärtlichkeit und Liebe meinen Ohren schmeichelte: »Lieber Sohn, jetzt ist Zeit für den Suhur 11 .« Der Ramadan-Monat, das Kleine Fest, das Große Fest und all die anderen Feste erfüllen mein Herz mit Angst. Sie sagten: »Warum gehst du zum Beten am Großen Fest nicht in die Große Moschee von Rom?« Nein, danke. Ich will nicht Hunderte von Menschen sehen, die so bedürftig sind wie ich, die sich nach dem Geruch ihrer Lieben verzehren.
    Freitag, 25 . Oktober, 23 . 22 Uhr
    Morgen begehen wir das Ende des Ramadan. Meine Mutter wird bestimmt sehr weinen, weil ich nicht da bin. An Tagen wie diesen wird die Entfernung größer und die Nestwärme unserer Lieben kühlt ab. Ich werde sie morgen – wie immer zu solchen Gelegenheiten – anrufen und ihr ein frohes Fest wünschen. Ich weiß, dass sie mir wie immer erstmal ein paar Vorwürfe machen wird. Und dann wird sie viel für mich beten. Wie ich mich danach sehne, diesen Satz aus ihrem Mund zu hören: »Ahmed, mein Sohn, möge dein Fest gesegnet sein und möge es dir in jedem neuen Jahr gut gehen!«
    Dienstag, 20 . März, 23 . 15 Uhr
    Ich habe
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