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Kopernikus 8

Kopernikus 8

Titel: Kopernikus 8
Autoren: H. J. Alpers
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eines Stuhls, der über den Boden geschoben wird, Schritte. Es gab kein Fernsehen oder Radio, die diese vertrauten Geräusche schwächten, nur das Zirpen von Grillen. Ein Schatten näherte sich dem Fliegengitter, gefolgt von einem dünnen, gebeugten alten Mann, der ausgebeulte Hosen trug und lächelte.
    „Ich bin … äh … gekommen, um die Freak-Show zu sehen“, sagte ich.
    Er nickte und enthakte die Tür mit dem Fliegengitter. „Hier entlang“, antwortete er und führte mich durch einen Raum, der mit Büchern und Magazinen sowie mit literarischen und wissenschaftlichen Journalen angefüllt war, die unordentlich auf Tischen, Sofa und Boden verteilt waren. Das wurde ja immer seltsamer.
    Die Hintertür öffnete sich in eine dunkle Scheune, und der alte Mann zog an einer herabbaumelnden Schnur, wodurch eine nackte Hundert-Watt-Birne erleuchtet wurde, die tanzende Schatten auf vier kleine Käfige und etwas, das mit einem schmierigen Tuch bedeckt war, fallen ließ. Die Käfige waren aus Pinienholz und Hühnerdraht zusammengebaut. Darin befanden sich vier unglückliche Tiere – nicht die gewöhnlichen Zirkus-Freaks, doch jedes auf seine Art merkwürdig genug.
    Trotz allem, wie definiert man einen Freak? Das Wort wird oftmals eher verletzend angewendet als informierend oder amüsierend. Wenigstens würden diese Kreaturen niemals erfahren, wie die Menschen sie nannten.
    Am auffälligsten unter den Tieren war ein Kalb mit zwei Köpfen.
    Einer der Köpfe war ein verschrumpeltes, herabhängendes Anhängsel mit toten Augen und schlaffen Lippen, aber der Rest des Kalbes schien recht gesund zu sein.
    Trotz des üblen Gestanks trat ich näher an die Käfige heran. Neben dem Kalb, so wahr mir Gott helfe, befand sich eine Schlange mit Beinen. Spindeldürre, winzige, nutzlose Dinge, aber nichtsdestotrotz vier Glieder. Sie schlief auf einem Heuhaufen in ihrem einen halben Quadratmeter umfassenden Gefängnis.
    Dann war da noch eine „Rieseneidechse“, wie sie der alte Mann nannte – nichts anderes als ein Leguan.
    Der vierte Käfig beherbergte ein federloses Huhn – sein abscheulich pockennarbiges Fleisch bot einen abstoßenden Anblick. In seiner Nacktheit ähnelte das Huhn einem runzligen alten Mann. Es starrte mich so blutdürstig an, als beschuldigte es mich, es eigenhändig gerupft zu haben.
    „Gaben werden dankbar entgegengenommen“, sagte mein freundlicher Hausherr, während er zur Tür schlurfte.
    „Oh, gut. Aber ich glaube nicht, daß ich schon alles gesehen habe, oder?“ Ich wandte mich dem Ding zu, das sich unter dem schmierigen Tuch über einem Käfig verbarg, der, anders als die anderen, an der Spitze kreisförmig zu sein schien.
    Seine Hose hochziehend, sah der alte Mann von mir zu dem bedeckten Objekt und wieder zurück. „Nun …“
    Ich wartete. Der alte Mann wollte mir offensichtlich das, was sich unter dem Tuch befand, nicht zeigen, was natürlich in mir um so stärker das Verlangen weckte, es trotzdem zu sehen.
    „Er schläft, glaube ich.“
    „Er?“
    Der alte Mann schien mich nicht zu hören. Er hob ein Stückchen von dem Tuch an und starrte darunter. „Nein, geht in Ordnung … falls Sie sicher sind, daß Sie ihn sehen wollen.“
    „Ja.“
    Ohne Zeremonie enthüllte er ein großes Glasterrarium und trat mit dem schmierigen Tuch in den knorrigen Farmerhänden zurück.
    Ich weiß nicht, wie lange ich mit offenem Mund dagestanden und auf diesen unglaublichen Anblick gestarrt habe. Ich erinnere mich, daß der alte Mann wie in einem Traum zu mir sprach: „Genauso handeln die meisten Menschen, wenn sie ihn sehen.“
    Das Ding war ein Albino-Affe … nein … der weiße Pelz war Fleisch … kahl, wie das Huhn … Arme und Beine in lächerlichen Winkeln gebeugt … gebeugt wie der alte Mann …
    Nein, nicht gebeugt. Das unmögliche Ding stand aufrecht auf einem Bett aus dunklen Spänen. Seine Bewegungen erinnerten in ihrer Vielfalt an einen Zeichentrickfilm von Rübe Goldberg. Mit seinen zierlichen, aufklappbaren Händen, die für seinen vierzig Zentimeter langen Körper viel zu groß waren, griff es an den Rand des Terrariums und starrte mich zwischen seinen röhrenförmigen Armen mit karmesinroten Augen an.
    Es war ein Gegenstand des Spottes, ein Zerrbild aus einem alptraumhaften Spiegelkabinett. Als ob es mein Keuchen imitieren wollte, öffnete das Geschöpf den Mund und entblößte damit ein geripptes Weiß, ein pelziges Schneefeld hier, im erstickenden Sommer Floridas. Nicht das leiseste Geräusch
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