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Kopernikus 4

Kopernikus 4

Titel: Kopernikus 4
Autoren: H. J. Alpers
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meine lieben Kinder, werdet nie die Not kennenlernen, die wir gekannt haben“, erklärt sie spottend.
    „Judy redet zuviel“, sagt Connie.
    „Das tun wir, Tatsache.“ Sie beide lachen.
    „So lest ihr also noch immer unsere sogenannten großen Bücher, unsere Prosa und Poesie?“ fragt Lorimer. „Welche Autoren lest ihr? H.G. Wells? Shakespeare? Dickens, Balzac, Kipling, Brian?“ Er schluckt. Brian war ein Bestsellerautor, den Ginny gemocht hatte. Wann hatte er das letzte Mal etwas von Shakespeare oder den anderen gesehen?
    „Oh, die historischen Autoren …“, sagt Judy. „Sie sind interessant, würde ich sagen. Aber nicht besonders realistisch. Ich bin sicher, für euch waren sie das“, ergänzt sie gönnerhaft.
    Danach vertiefen sie sich in eine Diskussion darüber, ob die Legehennen zuviel Licht bekommen oder nicht. Sie überlassen Lorimer dem Gedanken, ob das, was er als ewige menschliche Werte angesehen hat, so einfach von der Realität überwunden werden konnte. Liebe, Konflikt, Heroismus, Tragödien – alles unrealistisch? Nun, Mitglieder von Raumteams sind selten große Leser; trotzdem, Frauen lesen mehr … Etwas hat sich verändert, das kann er spüren. Etwas, das grundlegend genug war, um die menschliche Natur zu verändern. Vielleicht eine physische Weiterentwicklung, eine Mutation? Was ist unter diesen Kleidern?
    Es war Judy, die ihm darauf eine Teilantwort gab.
    Er übt mit den beiden und hört zu, wie sie sich über eine legendäre Gestalt namens Dagmar unterhalten.
    „Jene Dagmar, die die Schacheröffnung erfunden hat?“
    „Ja. Sie kann einfach alles. Wenn sie in Form ist, ist sie wirklich Spitze.“
    „Ist sie das nicht immer?“
    Eine der Judys lacht. „Das Dagmar-Problem, so könnte man es nennen. Sie hat die Tendenz, alles zu organisieren. Es ist fein, wenn es funktioniert, aber oft läuft auch alles wild daneben, und dann denkt sie, sie sei Königin oder so etwas. Dann müssen sie mit den Schmetterlingsnetzen ausrücken.“
    Alles in der Gegenwart – aber Lady Blue hat ihm gesagt, der Dagmar-Zug sei über ein Jahrhundert alt.
    Langlebigkeit, denkt er; bei Gott, das ist es, was sie vor uns verbergen. Sie haben vielleicht eine zwei- oder dreimal so lange Lebensspanne erreicht. Das würde selbstverständlich die menschliche Psychologie verändern, den Blickwinkel für die Dinge. Verzögerte Reife vielleicht? Wie alt sind denn zum Beispiel diese Mädchen?
    Er ist gerade im Begriff zu fragen, als Judy Dakar sagt: „Ich war in der Anstalt, als sie plemplem wurde. Aber sie ist gutherzig, und später hatte ich sie wieder sehr lieb.“
    Es wird Lorimer klar, daß sie mit Anstalt eine Art öffentliches Krankenhaus meint. „Ist das dieselbe Dagmar?“ fragt er. „Sie muß schon sehr alt sein.“
    „O nein, ihre Schwester.“
    „Eine Schwester, hundert Jahre später?“
    „Ich meine … ihre Tochter. Ihre … ihre Große-Tochter.“ Sie beginnt wild die Pedale zu treten.
    „Judy!“ sagt ihre Zwillingsschwester hinter ihr.
    Wieder Schwestern. Jeder, von dem er erfährt, scheint eine außergewöhnlich große Anzahl von Schwestern zu haben, reflektiert Lorimer für sich. „Ich glaube, ich erinnere mich an Dagmar in der Anstalt“, hört er Judy Paris sagen. „Sie begann allen Uniformen zu verpassen, bunte Uniformen mit Nummern.“
    „Das kannst du nicht, du warst damals noch gar nicht geboren“, hält Judy Dakar dem entgegen.
    Plötzlich herrscht Stille in der Trommel.
    Lorimer dreht sich in den Streben herum, um sie anzusehen. Zwei gerötete, freudestrahlende Gesichter sehen ihn keck an. Mit derselben Gebärde werfen sie den Kopf in den Nacken, damit das schwarze Haar ihnen nicht in die Augen fällt … Aber ist das Dakar-Mädchen nicht eine Spur reifer, ihr Gesicht etwas älter?
    „Ich dachte, ihr beide wärt Zwillinge.“
    „Ah, Judy redet eine ganze Menge“, sagen sie gemeinsam – und grinsen schuldbewußt.
    „Ihr seid keine Schwestern“, sagt er zu ihnen. „Ihr seid das, was wir Klone nannten.“
    Erneutes Schweigen.
    „Nun ja“, gibt Judy Dakar zu. „Wir nennen das Schwestern. O Mutter! Wir sollten euch das gar nicht erzählen, Myda sagte, das würde euch aufs äußerste beunruhigen. Zu eurer Zeit war es illegal, nicht wahr?“
    „Ja. Wir betrachteten es als unmoralisch und nicht ethisch, mit dem menschlichen Leben zu experimentieren. Es stört mich persönlich allerdings nicht.“
    „Oh, das ist wunderbar, das ist großartig“, sagen sie wieder gemeinsam.
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