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Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur

Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur

Titel: Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
Autoren: Birgit Richard , Alexander Ruhl
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Aufführung
     eine Ausstrahlung haben, die den Betrachter zu Respekt zwingt, und, vermittelt über die Macht der Aura, in einen Dialog mit
     ihm treten, haben alle diese Aspekte im Umgang mit Konsumgütern keinen Platz. In der Folge stumpfen die Sinne ab und die Fähigkeit
     zu echter Wahrnehmung geht verloren. Konsum, zumal der Konsum technisch reproduzierter Kunst(-objekte), führt zur Deformation
     der Anteilnahme. Was der Dadaismus später innerhalb der Kunst zeigte, nämlich die Negation jedes Sinnes, wurde nach Benjamin
     in der Zeit um 1900 durch den Aufstieg der Kaufhäuser, der Einkaufspassagen und der Massenwaren vorbereitet. Die konsumierenden
     Menschen, selbst als Massen auftretend, stellen nicht mehr die Frage nach dem Sinn, ihr Streben im Umgang mit den Massengütern
     wird auf Zerstreuung und Gewöhnung reduziert.
    Zwar scheint die »Aura des Kunstwerkes« all den als Massenwaren hergestellten und im Alltag konsumierten Dingen zu fehlen,
     und doch hat Benjamin ein spezifisches Interesse an den zu seiner Zeit neu entstehenden Formen des Konsums und an der Rolle
     der Konsumgüter im Alltag. Er versucht, den »Geist des Konsumismus« zu verstehen und dessen Logik zu entlarven. Dies hat Benjamin
     besonders im posthum veröffentlichten »Passagen-Werk« (1983) geleistet, das als die erste »Ethnographie des Shopping« bezeichnet
     werden kann, und damit ein legitimer Vorläufer der »Theorie des Shopping« von Daniel Miller (1998) ist. Demnach macht das
     Eintauchen in die vergänglichen Farben und Sensationen der Schaufenster aus dem Konsumenten einen Träumer, eine zeit- und
     geistlose Person, einen |22| desorientierten Dinosaurier, der ohne Reflexion seiner eigenen Lebenslage in den Tag hinein lebt. In der urban-industriellen
     Phantasiewelt der Schaufenster und des Massenkonsums sind nach Benjamin weder die symbolischen Bedeutungen der Dinge, noch
     deren Tauschwert oder Gebrauchswert wesentlich. Anstelle dessen treten die Traumbilder des Kollektivs in den Vordergrund.
     Sie machen die eigentliche Bedeutung des Konsums aus.
    Wesentlich an dieser neuen Perspektive ist die Feststellung, dass der Besitz der Konsumgüter keine Rolle mehr spielt. Benjamins
     Beschreibung des Konsums hat viel mit der Jägerparabel des Philosophen Pascal gemein (zitiert nach Bauman 2001). Pascal beschreibt
     darin die conditio humana mit dem Bild des ruhelosen Jägers. Für diesen gilt: nicht das Tier, dessen Fleisch oder Fell bieten
     ihm Sättigung und Schutz, sondern nur die Jagd selbst ist wirkliche Befriedigung. Ist das Tier erlegt, interessiert es schon
     nicht mehr, es ist fad und öd. Erst die nächste Jagd kann wieder die Zufriedenheit herstellen. Divertissement und Kurzweil
     sind es allein, die des Menschen Hunger sättigen, nicht aber der Besitz. Kann es nicht sein, dass die immer neuen Konsumgüter
     die Jagdbeute sind, die im Moment nach ihrem Erwerb gleich wieder in die Bedeutungslosigkeit zurückfallen?
    Nach Susan Buck-Morss (1993) enthält der Grundgedanke des Passagenwerks eine überraschende Definition der Konsumwelt. Die
     Welt der Konsumgüter ist demnach wesentlich durch die Art des Sehens gekennzeichnet. Die Art des Sehens im Kontext des Konsums
     ist ein zeitloses, träumerisches Sehen; im Gegensatz dazu gehört zum Sehen der auratischen Objekte ein bewusstes Vermitteln
     von Bedeutungen, das Zeit erfordert und der Reflektion bedarf. Das Sehen des Konsums wird hingegen vom permanenten Vergessen
     des Vergangenen und dem vollständigen Eintauchen des Betrachters in die scheinbar zeitlose Gegenwart geprägt. Im Kontrast
     zu anderen Konsumkritikern ist hervorzuheben, dass Benjamin trotz der Kritik ein differenziertes Bild der Konsumwelt und seiner
     »Eigenlogik« entworfen hat.
    Die Schwäche der Konsumkritik
    Der Aufstieg des Konsums ist, weithin akzeptierten Interpretationen zufolge, eine Verfallsgeschichte der Kultur. So sind jedenfalls
     die Ausführungen von Theodor Adorno und Max Horkheimer (1944) in der »Dialektik |23| der Moderne« zu verstehen, in der die beiden Exponenten der »kritischen Theorie« die modernen Formen des Konsums verurteilen
     und die Geistlosigkeit der Erzeugnisse der Kulturindustrie anprangern. Massenkonsum ist ein Parasitismus der Geschichte und
     entspringt der Naivität von Menschen, die sich einer wie auch immer gearteten Gegenwart verweigern. Letztlich steht er für
     die Figur des Verdrängens als Reaktion auf die unverstandene Bedingung der eigenen Existenz.
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