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kommt wie gerufen

kommt wie gerufen

Titel: kommt wie gerufen
Autoren: Dorothy Gilman
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und Miß Hartshorne trat auf Appartement 4-C zu und Mrs. Pollifax auf 4-A. »Guten Tag«, sagte Miß Hartshorne abschließend.
    »Ja, natürlich, gleichfalls«, murmelte Mrs. Pollifax und sperrte ihre Wohnungstür mit dem Gefühl auf, knapp entronnen zu sein.
    Nichts als der Winkel der einfallenden Sonnenstrahlen hatte sich in der Wohnung verändert, und Mrs. Pollifax zog die Fensterläden zurecht, ehe sie den Hut abnahm. Als sie an ihrem Schreibtisch vorbeiging, blieb ihr Blick an dem Vormerkkalender hängen, und angeödet überflog sie ihn. Heute war Montag. Dienstag rollte sie den Bücherkarren durchs Krankenhaus, Mittwoch wickelte sie Bandagen, Donnerstag fand am Vormittag ein Treffen des Kunstvereins statt, und am Nachmittag arbeitete sie im Geschenkladen des Spitals. Freitag war eine Sitzung des Klubs der Gartenfreunde, am Samstag ging sie vormittags zum Friseur, und am Nachmittag war Elise Wiggin zum Tee angesagt. Leider redete Elise ausschließlich von ihren Enkelkindern und wie brav sie schon aufs Töpfchen gingen.
    »Gibt es denn nichts, was Sie schon immer gern getan hätten?« hatte der Arzt gefragt.
    Mrs. Pollifax warf die Tageszeitung auf die Couch, griff aber dann doch wieder danach und blätterte sie durch. Als gewissenhafte Staatsbürgerin mußte man gut unterrichtet sein und durfte nicht den Kontakt mit der Welt verlieren. Auf Seite drei sah ihr das Foto einer Frau entgegen: KARRIERE MIT 63 lautete die Überschrift, und von plötzlichem Interesse erfaßt, setzte Mrs. Pollifax sich sofort nieder und begann zu lesen. Der Artikel handelte vom Leben einer Frau namens Magda Caroll, die sich nach der Heirat ihrer Kinder einer Laienbühne angeschlossen hatte und schon im zweiten Stück von einem Broadwayregisseur entdeckt worden war.
    Jetzt trat sie in New York auf, und die Kritiker waren von ihr begeistert.
    »Das verdanke ich alles nur meinem Alter«, sagte sie dem Reporter. »Die Theaterwelt wimmelt von intelligenten, begabten jungen Dingern, aber dreiundsechzigjährige Charakterdarstellerinnen sind rar. Man hat mich einfach gebraucht – ich kam wie gerufen.«
    Mrs. Pollifax ließ die Zeitung zu Boden sinken. »>Man hat mich einfach gebraucht – ich kam wie gerufen. < Wie wunderbar!« flüsterte sie sehnsüchtig. Sie stand auf, trat vor den Spiegel im Vorzimmer und starrte die Frau an, die ihr dort entgegensah: klein, sehr weiblich, etwas rundlich, mit kastanienbraunem Haar und blauen Augen. Ein nettes Frauchen, das für beinahe jede praktische Tätigkeit ungeeignet war. Aber gab es denn gar kein Gebiet, auf dem auch sie wie gerufen kommen konnte? Unsinn, schalt sie sich. Was sie da dachte, kam überhaupt nicht in Frage.
    »Versuchen könnte ich es immerhin«, wandte sie schüchtern ein. »Wer nicht wagt, gewinnt nicht. Und ich bin ja schließlich Steuerzahlerin, nicht wahr?«
    Lächerlich. Undenkbar.
    Aber in ihrer Erinnerung waren jene Sekunden auf dem Hausdach eingegraben und wie nahe ihr rechter Fuß daran gewesen war, ins Leere zu treten.
    »Seit meinem elften Jahr habe ich das Regierungsviertel in Washington nicht mehr besichtigt«, überlegte sie. »Wie viele neue Bauten werden dort entstanden sein, die ich alle nur von Fotos kenne. Jeder sollte mit seiner Hauptstadt in Verbindung bleiben.«
    »Ich fahre!« verkündete sie laut. Ganz schwindlig von ihrer eigenen Kühnheit ging sie zum Schrank und zerrte ihren Koffer hervor.
    Am nächsten Tag reiste Mrs. Pollifax mit der Bahn nach Washington. Nachdem sie sich in einem Hotel eingemietet hatte, fuhr sie mit dem Taxi zum Capitol und stattete ihrem Abgeordneten einen Besuch ab. Am nächsten Tag besichtigte sie die Sehenswürdigkeiten und sprach sich frischen Mut zu, denn leider war ihre Entschlossenheit inzwischen schon wieder unfruchtbarem Zweifel gewichen. Am Donnerstag nach dem Mittagessen jedoch bestieg sie den Bus, der sie innerhalb von zwanzig Minuten nach Langley, Virginia, brachte, wo das neue Gebäude der Zentrale des Geheimdienstes stand. Die Adresse hatte Mrs. Pollifax in der städtischen Bibliothek entdeckt und hatte sich der größten Umsicht befleißigt, daß ihr auch ja niemand zusehe, als sie sich die Adresse ins Notizbuch schrieb. Jetzt war sie erstaunt, ja sogar entsetzt, daß unzählige Pfeile am Straßenrand jedermann, vermutlich auch Russen, zur Zentrale der Spionageabwehr wiesen. Auch das Gebäude selbst war nicht gerade unauffällig. Es war riesengroß – »das Gelände umfaßt beinahe vier Hektar«, brummte der Busfahrer
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