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Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Titel: Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)
Autoren: Nicole Krauss
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Jahr hatte er sie nicht gesehen, und ihm pochte das Herz. Ein paar Schritte von ihm entfernt blieb sie stehen, das Gesicht ruhig und unbewegt, blass eingerahmt von ihrem dunklen Haar. Wie oft hatte er sich diesen Moment vorgestellt, samt Wetter und Breitengrad und einem drehbuchreifen Dialog, aber jetzt zerschellte das alles, ersetzt durch die unbezwingbare Einzigartigkeit dessen, was geschah.
    Er lächelte und trat näher.
    Anna , sagte er.
     
    Sie gingen die Amsterdam Avenue entlang. Anna hatte ihre Wohnung aufgegeben und lebte woanders, aber sie hatten beschlossen, sich dennoch in ihrer alten Nachbarschaft zu treffen. Es kam ihm vor, als wäre es lange her, dass sie dort gewohnt hatten, und er war überrascht, alles unverändert zu finden.
    Du siehst gut aus.
    Du auch.
    Sie lachten, erleichtert, die ersten unsicheren Augenblicke hinter sich zu haben. Sie gingen langsam an vertrauten Läden und an Restaurants vorbei, wo sie wahrscheinlich öfter zusammen gegessen hatten, als sie sich erinnern konnten.
    Hast du Hunger? , fragte sie. Sie blieben vor einem kleinen italienischen Lokal mit einer blaugestreiften Markise stehen. Durch die Fensterscheibe sahen sie die Gäste drinnen, ein Paar am Fenster, einen Mann, der redete, während die Frau ihr Weinglas hob. Sie standen draußen und studierten die Speisekarte, und für einen Augenblick hätten sie so ein Paar sein können. Sie hätten hineingehen und einen Tisch nehmen können, Zeit genug gehabt, darüber zu reden, was sie essen oder trinken sollten, zu diskutieren, was sie morgens in der Zeitung gelesen hatten. Bei erhobenem Weinglas zu anderen, abwegigeren Dingen wie dem Klima in Norwegen zu wechseln, der natürlichen Spur ihrer gemeinsamen Bemühungen folgend. Ein Paar mit jahrelanger Erfahrung im Gespräch, sodass jetzt ein einziges Wort für weitreichende Themen stand und Zwischentöne ausreichten, um die Stimmungslage mitzuteilen, und sie nach all dem vielen Reden wieder in das wechselseitige Schweigen sinken konnten, das die Grundlage ihres Zusammenlebens war, in trauter Zweisamkeit, ohne einen anderen Laut als das klappernde Besteck.
    Aber sie waren nicht so ein Paar, und so wandten sie sich ab und gingen weiter. Die Sonne tauchte hinter den Wolken auf und unter. Sie liefen nach Osten, zum Park, bewegten sich Seite an Seite unter den Bäumen. Die schwarzen Zweige trieben schon die ersten grünen Knospen. Es brauchte lange, bis das Gespräch in Gang kam, bis die Worte, die zu sagen sie geplant hatten, durch das ersetzt wurden, was sie tatsächlich sagten. Sie hatte ihre Stelle aufgegeben und machte eine zweite Ausbildung. Er lebte in Kalifornien, wo er Arbeit in einer Bibliothek gefunden und ein kleines Haus gemietet hatte, nicht weit vom Meer entfernt.
    Du solltest mal zu Besuch kommen.
    Er hatte sich oft vorgestellt, mit ihr über den Strand zu laufen oder ihr den Ausblick vom Windy Top zu zeigen. Aber jetzt war er sicher, es würde nicht geschehen, und er fühlte die Hoffnung langsam von sich weichen wie einen losgerissenen Luftballon, der in den Nachmittag entschwebt.
    Sie gingen lange nebeneinander her, dann hielten sie inne und setzten sich auf eine Bank. Am Himmel brauten sich dunkle Wolken zusammen, aber keiner von ihnen machte Anstalten, aufzustehen. Die Dinge, über die sie redeten, waren kaum von Bedeutung. Er hatte es sich ganz anders vorgestellt; er hatte geglaubt, es würde viel Schwieriges zu erklären und Gefühle zu bekennen geben. Aber dem war nicht so, und jetzt merkte er, er war froh darum, auf der Bank zu sitzen und belanglose Dinge zu sagen, als hätten sie alle Zeit der Welt. Er hatte sich vorgestellt, ihr zu sagen, er liebe sie, aber jetzt merkte er, wie platt eine solche Erklärung klänge, ein falscher Ton in einem einfachen Lied. Es zu sagen hätte die gehütete Stille dessen, was unausgesprochen zwischen ihnen stand, zerstört.
    Es begann dicke Tropfen zu regnen.
    Hier, sagte er und hielt ihr seine Strickjacke hin. Leg sie dir über den Kopf.
    Sie schüttelte den Kopf.
    Du wirst nass.
    Du auch.
    Sie standen auf und gingen ohne Eile. Inzwischen regnete es stärker, in der Luft hielt sich ein erdiger Geruch. Als sie die Straße erreichten, drehte sie sich zu ihm um. Ihr Haar war nass, ein Tropfen Wasser rann ihr über die Schläfe. Er nahm sie in die Arme, und lange standen sie so da, während die Taxis auf der Straße vorbeispritzten. Ihr Gesicht glänzte im gedämpften Licht.
    Pass auf dich auf , sagte sie.
    Es gab so viel, was er
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