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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder
Autoren: Jeff Lindsay
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Flucht schien auszulaufen und sich um meine Knöchel zu sammeln, und eine große scheppernde Leere zerriss mich, als bestünde die Welt aus sinnlosem Schmerz, und er war ihr Meister.
    »Du hast uns ziemlich viel Ärger gemacht«, tadelte er mich leise.
    »Das tröstet mich«, erwiderte ich. Es fiel mir schwer und klang selbst für mich reichlich schwach, doch zumindest sah der alte Mann ein wenig ungehalten drein. Er trat einen Schritt auf mich zu, und ich erwischte mich bei dem Versuch, mich dünnzumachen. »Ach, übrigens«, sagte ich in der Hoffnung, nonchalant zu wirken, während ich in Wahrheit das Gefühl hatte zu zerfließen. »Wer ist wir?«
    Er neigte den Kopf. »Ich glaube, du weißt es. Du hast uns gewiss lange genug beobachtet.« Er trat einen weiteren Schritt vor, und meine Knie begannen leicht zu zittern. »Doch um der angenehmen Konversation willen«, fuhr er fort, »wir sind die Anhänger Molochs. Die Erben König Salomons. Seit dreitausend Jahren erhalten wir die Anbetung des Gottes am Leben und bewahren seine Traditionen und seine Macht.«
    »Sie sagen ständig wir«, warf ich ein.
    Er nickte, und die Bewegung tat mir weh. »Es gibt noch Andere«, erklärte er. »Doch das Wir steht für Moloch, wie dir sicher bewusst ist. Er existiert in mir.«
    »Also haben
Sie
diese Mädchen ermordet? Und mich verfolgt?«, fragte ich. Ich gebe zu, die Vorstellung, dass dieser alte Mann das alles getan haben wollte, überraschte mich.
    Er lächelte, doch ohne jeden Humor, und ich fühlte mich kein bisschen besser. »Nicht persönlich, nein. Es waren die Beschatter.«
    »Demnach – meinen Sie damit, es kann Sie verlassen?«
    »Selbstverständlich«, erwiderte er. »Moloch kann sich zwischen uns bewegen, wie es ihm gefällt. Er ist keine Person und er ist
in
keiner Person. Er ist ein Gott. Er verlässt mich und schlüpft in andere, die bestimmte Aufgaben erfüllen. Um zu beobachten.«
    »Ja, so ein Hobby ist was Schönes«, stimmte ich zu. Ich war nicht ganz sicher, worauf unser Gespräch hinauslief, oder ob mein kostbares Leben hier schleudernd an sein Ende gelangte, deshalb stellte ich die erste Frage, die mir in den Sinn kam. »Warum haben Sie die Leichen vor der Universität plaziert?«
    »Weil wir dich finden wollten.« Die Antwort des alten Mannes ließ mich auf der Stelle erstarren.
    »Du hast unsere Aufmerksamkeit erregt, Dexter«, fuhr er fort, »doch wir mussten uns vergewissern. Wir mussten dich beschatten, um festzustellen, ob du unser Ritual erkennst oder auf den Beschatter reagierst. Außerdem war es natürlich sehr bequem, die Polizei auf Halpern anzusetzen.«
    Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte. »Er gehört nicht zu Ihnen?«
    »Aber nein«, erwiderte der alte Mann freundlich. »Sobald die Polizei ihn aus ihrem Gewahrsam entlässt, wird er sich zu den anderen hier gesellen.« Er nickte in Richtung der mit getöpferten Stierschädeln gefüllten Trophäenvitrine.
    »Dann hat er die Mädchen wirklich nicht umgebracht.«
    »Doch, das hat er«, sagte er. »Ein Kind Molochs in seinem Inneren hat ihn dazu überredet.« Er neigte den Kopf. »Ich bin sicher, dass gerade du das sehr gut nachvollziehen kannst, nicht wahr?«
    Selbstverständlich. Doch beantwortete es keine der Hauptfragen. »Könnten wir bitte noch mal zurück an die Stelle, wo Sie sagten ›Ihre Aufmerksamkeit erregt‹«, bat ich höflich, während ich an all die Mühen dachte, die es mir bereitet hatte, stets unauffällig zu bleiben.
    Der Mann betrachtete mich, als wäre ich extrem begriffsstutzig. »Du hast Alexander Macauley getötet«, sagte er.
    Nun rasteten die Bolzen in dem verbeulten Stahlschloss ein, das einst Dexters Gehirn gewesen war. »Zander gehörte zu Ihnen?«
    Er schüttelte leicht den Kopf. »Ein niedriger Gehilfe. Er hat Material für unsere Rituale geliefert.«
    »Er hat die Penner angeschleppt, und ihr habt sie ermordet«, verbesserte ich.
    Er zuckte die Achseln. »Wir bringen Opfer dar, Dexter, wir morden nicht. Jedenfalls sind wir dir gefolgt, nachdem du Zander umgebracht hattest, und fanden heraus, was du bist.«
    »Was bin ich?«, platzte ich heraus, etwas aufgemuntert von der Vorstellung, jemandem gegenüberzustehen, der diese Frage beantworten konnte, über der ich fast mein ganzes, glücklich schlitzendes Leben gebrütet hatte. Doch dann trocknete mein Mund aus, und während ich auf seine Antwort wartete, keimte in mir eine Empfindung, die sich grauenhaft nach echter Angst anfühlte.
    Der Blick des alten
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