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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder
Autoren: Jeff Lindsay
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wunderbares Gefühl, und mir ging es besser als seit langer Zeit, doch nachdem meine reine, blinde Wut verraucht war, erkannte ich, dass Türzudrücken, wie entspannend auch immer, ein wenig sinnlos war und früher oder später mit meiner Niederlage enden musste, da ich weder Waffen noch Werkzeug besaß, und wer auch immer auf der anderen Seite der Tür stand theoretisch über einen unbegrenzten Vorrat zur Lösung der Aufgabe verfügte.
    Während ich darüber nachdachte, sprang die Tür wieder ein Stückchen auf, gebremst von meinem Fuß, und während ich sie automatisch wieder zuwarf, kam mir eine Idee. Sie war blöd, purer James-Bond-Eskapismus, doch vielleicht funktionierte sie. Und ich hatte nichts zu verlieren. Bei mir ist Denken und wildes Handeln eins, und noch während ich die Tür mit der Schulter zudrückte, trat ich bereits auf die Seite des Rahmens und wartete.
    Selbstverständlich sprang die Tür nur einen Moment später wieder auf, diesmal ohne dass ich Widerstand leistete, und während sie weit aufschwang und gegen die Wand knallte, stolperte ein aus dem Gleichgewicht geratener Mann in einer Art Uniform hinterher. Ich griff nach seinem Arm und erwischte stattdessen die Schulter, doch das reichte, und mit all meiner Kraft drehte ich mich und schmetterte ihn mit dem Kopf voran gegen die Wand. Ein erfreuliches Bumsen ertönte, als hätte ich eine große Melone vom Küchentisch fallen lassen, und er prallte an der Wand ab und stürzte mit dem Gesicht voran auf den Zementboden.
    Und sehet, dort stand Dexter, wiedergeboren und triumphierend, stolz auf beiden Beinen, der Körper des Feindes schlaff zu seinen Füßen, und eine offene Tür führte in die Freiheit, Erlösung, und dann vielleicht zu einem leichten Abendessen.
    Rasch durchsuchte ich die Wache, nahm einen Schlüsselbund, ein großes Taschenmesser und eine Pistole an mich, die er vermutlich nicht so bald brauchen würde, trat dann vorsichtig in den Korridor und schloss die Tür hinter mir. Irgendwo da draußen warteten Cody und Astor, und ich würde sie finden. Was ich dann machen sollte, wusste ich nicht, aber das war ohne Bedeutung. Ich würde sie finden.

[home]
    39
    D as Gebäude war ungefähr so groß wie eine Villa in Miami Beach. Ich schlich vorsichtig durch einen langen Flur, der vor einer Tür endete, ähnlich der, mit der ich soeben Bäumchen-wechsle-dich gespielt hatte. Ich trippelte auf Zehenspitzen weiter und presste das Ohr dagegen. Ich hörte nichts, doch die Tür war so dick, dass das nichts heißen musste.
    Ich legte meine Hand auf den Knauf und drehte sehr langsam. Sie war nicht verschlossen, und ich drückte sie auf.
    Ich spähte vorsichtig um die Ecke und erblickte nichts Alarmierenderes als ein paar Möbel, die nach echtem Leder aussahen – ich nahm mir vor, dies der PETA zu melden. Das Zimmer wirkte recht elegant, und als ich die Tür ein wenig weiter öffnete, sah ich eine Bar auf der anderen Seite.
    Doch wesentlich interessanter war die Trophäenvitrine neben der Bar. Sie war fast sieben Meter breit, und hinter den Scheiben, gerade noch erkennbar, erblickte ich Reihen um Reihen anscheinend geordneter getöpferter Stierschädel. Jedes Stück schimmerte unter seinem eigenen kleinen Spot. Ich zählte sie nicht, doch waren es bestimmt mehr als hundert. Noch ehe ich in den Raum schlüpfen konnte, hörte ich eine Stimme, so eisig und trocken, dass sie kaum noch menschlich zu nennen war.
    »Trophäen.« Ich zuckte zusammen und richtete die Waffe auf die Geräuschquelle. »Eine Erinnerungswand, dem Gott gewidmet. Jedes Stück repräsentiert eine Seele, die wir zu ihm gesandt haben.« Ein alter Mann saß dort, der mich einfach ansah, doch sein Anblick war fast wie ein körperlicher Schlag. »Wir schaffen für jedes Opfer einen neuen«, erklärte er. »Komm herein, Dexter.«
    Der alte Mann schien nicht sonderlich bedrohlich. Tatsächlich war er in dem großen Ledersessel fast nicht zu sehen. Er stand langsam auf, mit der Umständlichkeit eines alten Mannes, und wandte mir ein Gesicht zu, das so kalt und glatt war wie Flusskiesel.
    »Wir haben dich erwartet«, sagte er, obwohl er sich, soweit ich das beurteilen konnte, abgesehen von den Möbeln allein in dem Zimmer aufhielt. »Tritt ein.«
    Ich weiß wirklich nicht, ob es an seinen Worten lag oder daran, wie er sie sagte, oder an etwas völlig anderem. Als er mich anblickte, hatte ich jedenfalls das Gefühl, als wäre nicht genug Luft in dem Raum. Die ganze wahnsinnige Energie meiner
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