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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder
Autoren: Jeff Lindsay
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beherrschte der unauslöschliche Drang zu töten, unwiderruflich und für immer, aber Harry hatte mich gelehrt, nur jene zu finden und zu beseitigen, die es nach seinem strengen Polizistenmaßstab wirklich verdient hatten.
    Als ich entdeckte, dass auch Cody so war, hatte ich mir geschworen, Harrys Erziehung weiterzuführen, an den Jungen weiterzugeben, was ich gelernt hatte, ihn in Dunkler Rechtschaffenheit aufzuziehen. Aber das beinhaltete eine ganze Galaxie an Komplikationen, Erklärungen und Lehren. Harry hatte mich fast zehn Jahre bimsen lassen, ehe er mir gestattete, mit etwas Komplizierterem als streunenden Tieren zu spielen. Bei Cody hatte ich noch nicht einmal begonnen – und obgleich es mir vorkam, als würde ich versuchen, Jedi-Meister zu sein, konnte ich nicht ausgerechnet heute damit anfangen. Ich wusste, dass Cody eines Tages damit würde zurechtkommen müssen, wie ich zu sein, und ich wollte ihm dabei helfen – doch nicht an diesem Abend. Nicht, während direkt vor dem Fenster der Mond so ausgelassen nach mir rief, an mir zerrte wie ein sanfter gelber Güterzug, der an mein Gehirn gekoppelt war.
    »Ich bin nicht, äh …«, setzte ich an, in der Absicht, alles zu leugnen. Aber sie sahen mit einem solch reizenden Ausdruck kalter Gewissheit zu mir auf, dass ich innehielt. »Nein«, sagte ich schließlich. »Er ist viel zu jung.«
    Sie wechselten einen raschen Blick, mehr nicht, aber er umfasste eine komplette Diskussion. »Ich hab ihm gesagt, dass du das sagen würdest«, erwiderte Astor.
    »Du hattest recht.«
    »Aber, Dexter«, sagte sie. »Du hast gesagt, du würdest uns was zeigen.«
    »Das werde ich auch«, sagte ich, während ich spürte, wie die schattigen Finger langsam mein Rückgrat hinaufkrochen und die Kontrolle übernahmen, mich zur Tür drängten, »aber nicht jetzt.«
    »Wann?«, forderte Astor.
    Ich sah die beiden an und spürte eine seltsame Kombination aus wilder Ungeduld, loszustürmen und zu schlitzen, und dem Drang, die beiden in eine weiche Decke zu hüllen und alles umzubringen, das in ihre Nähe kam. Und am Rand, gerade außerhalb der Wahrnehmung, das Verlangen, ihre kleinen Dickschädel gegeneinanderzuschlagen.
    War das etwa Vaterschaft?
    Die gesamte Oberfläche meines Körpers prickelte im kalten Feuer meines Verlangens, zu verschwinden, anzufangen, das machtvolle Unaussprechliche zu tun, doch stattdessen holte ich tief Luft und setzte eine ausdruckslose Miene auf. »Morgen habt ihr Schule, und es ist fast Schlafenszeit.«
    Sie sahen mich an, als hätte ich sie verraten, und ich nehme an, das hatte ich auch, indem ich die Regeln änderte und als Daddy Dexter auftrat, während sie glaubten, mit Dämon Dexter zu reden. Trotzdem stimmte es. Man kann kleine Kinder wirklich nicht zu einer nächtlichen Ausweidung mitnehmen und erwarten, dass sie am nächsten Tag ihr Abc draufhaben. Es fiel mir selbst schon schwer genug, nach einem meiner kleinen Abenteuer am nächsten Morgen zur Arbeit zu erscheinen, und ich genoss den Vorteil von so viel kubanischem Kaffee, wie ich wollte. Außerdem waren sie wirklich noch viel zu jung.
    »Du klingst wie ein Erwachsener«, bemerkte Astor mit dem vernichtenden Hohn einer Zehnjährigen.
    »Aber ich bin erwachsen«, erwiderte ich. »Und ich will nur das Beste für euch.« Auch wenn meine Zähne vom Zurückdrängen des wachsenden Verlangens schmerzten, als ich das sagte – ich meinte es so, was nicht das Geringste an dem Ausdruck schierer Verachtung in dem Blick änderte, den ich von beiden erntete.
    »Wir dachten, du wärst anders«, sagte Astor.
    »Ich kann mir kaum vorstellen, noch mehr anders zu sein und trotzdem noch menschlich zu wirken«, erwiderte ich.
    »Nicht fair«, sagte Cody, und als ich ihm in die Augen sah, erblickte ich ein winziges dunkles Biest, das den Kopf hob und mich anbrüllte.
    »Nein, es ist nicht fair«, bestätigte ich. »Nichts im Leben ist fair. Fair ist ein schmutziges Wort, und ich wäre dir dankbar, wenn du Wörter dieser Art nicht in meiner Gegenwart benutzen würdest.«
    Cody musterte mich einen Moment lang, ein Blick enttäuschter Berechnung, der mir nie zuvor bei ihm aufgefallen war, und ich wusste nicht, ob ich ihm eine langen oder ihm einen Keks geben sollte.
    »Nicht fair«, wiederholte er.
    »Hör mal«, sagte ich, »das ist etwas, mit dem ich mich auskenne. Und das ist die erste Lektion. Normale Kinder gehen während der Schulzeit rechtzeitig ins Bett.«
    »Nicht normal«, sagte er und schob seine Unterlippe
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