Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder
Autoren: Jeff Lindsay
Vom Netzwerk:
weit genug vor, um Schulbücher darauf zu stapeln.
    »Genau das ist der Punkt«, versicherte ich ihm. »Deshalb musst du stets normal
wirken,
dich normal
verhalten,
alle anderen glauben lassen, du
seiest
normal. Und ansonsten musst du genau das tun, was ich dir sage, oder ich mache gar nichts.« Er wirkte nicht völlig überzeugt, aber er begann nachzugeben. »Cody«, sagte ich, »du musst mir vertrauen und es mich auf meine Weise tun lassen.«
    »Musst«,
sagte er.
    »Ja«, bestätigte ich. »Musst.«
    Er starrte mich einen langen Augenblick an, dann richtete er den Blick auf seine Schwester, die ihn erwiderte. Es war ein Wunder an lautloser Kommunikation; ich konnte erkennen, dass sie ein langes, äußerst verwickeltes Gespräch führten, aber sie gaben keinen Laut von sich, bis Astor mit den Schultern zuckte und sich wieder an mich wandte. »Du musst es versprechen.«
    »In Ordnung. Was muss ich versprechen?«
    »Dass du anfangen wirst, uns zu unterrichten«, sagte sie, und Cody nickte. »Bald.«
    Ich holte tief Luft. Ich hatte nie eine echte Chance gehabt, in den Himmel zu kommen, den ich ohnehin als hypothetisch betrachte, auch vorher nicht. Aber das hier zu tun, meine Zustimmung zu geben, diese stümperhaften kleinen Ungeheuer in ordentliche, gut ausgebildete kleine Ungeheuer zu verwandeln – nun, ich konnte nur hoffen, dass meine Hypothese korrekt war. »Ich verspreche es«, sagte ich. Sie sahen einander an, dann mich und verschwanden.
    Und hier stand ich mit einer Tasche voller Spielsachen, einer dringenden Verpflichtung und einem irgendwie geschrumpften Gefühl von Dringlichkeit.
    Ist Familienleben für jeden so? Falls ja, wie überlebt das irgendjemand? Warum haben Leute mehr als ein Kind, oder überhaupt Kinder? Hier stand ich, ein wichtiges und befriedigendes Ziel vor Augen, und urplötzlich traf mich wie aus heiterem Himmel etwas, womit keine Fußballmutti je fertig werden muss, und ich konnte mich kaum erinnern, was ich noch vor wenigen Momenten geäußert hatte. Trotz des ungeduldigen Knurrens des Dunklen Passagiers – irgendwie gedämpft, als wäre auch er ein wenig verwirrt – brauchte ich einige Augenblicke, um mich zusammenzureißen, mich vom verstörten Daddy Dexter erneut in den Eiskalten Rächer zu verwandeln. Es fiel mir schwer, mich auf die kalte Schärfe von Bereitschaft und Gefahr zu besinnen; tatsächlich erinnerte ich mich kaum, wo ich meinen Autoschlüssel hingelegt hatte.
    Irgendwie fand ich ihn, taumelte aus meinem Arbeitszimmer, und nachdem ich Rita irgendwelche liebevollen Nichtigkeiten zugemurmelt hatte, trat ich endlich aus der Tür in die Nacht.

[home]
    4
    I ch hatte Zander lange genug beschattet, um seine Gewohnheiten zu kennen, und da es ein Donnerstagabend war, wusste ich, wo ich ihn finden würde. Er verbrachte jeden Donnerstagabend in der »Eine-Welt-Mission des Göttlichen Lichts«, vermutlich, um die Herde zu inspizieren. Nachdem er ungefähr neunzig Minuten das Personal angelächelt und einem kurzen Gottesdienst beigewohnt hatte, würde er einen Scheck auf den Pastor ausstellen, einen riesigen schwarzen Mann, der früher in der NFL gespielt hat. Der Pastor würde lächeln und ihm danken, und Zander leise durch die Hintertür zu seinem bescheidenen Geländewagen entschlüpfen und demütig nach Hause fahren, von der Gloriole der Tugendhaftigkeit umspielt, die nur guten Werken entspringt.
    Doch heute Abend sollte er nicht allein fahren.
    Heute Abend waren Dexter und sein Dunkler Passagier seine Begleiter und würden ihn mit einer vollkommen anderen Art des Reisens bekannt machen.
    Doch als Erstes die kühle, vorsichtige Kontaktaufnahme, Lohn der Wochen verstohlener Pirsch.
    Ich parkte mein Auto nur ein paar Meilen von Ritas Haus entfernt in einem riesigen alten Einkaufszentrum namens Dadeland und ging zu Fuß zur nächsten Metrorail-Station. Der Zug war selten überfüllt, selbst zu Stoßzeiten, doch waren genug Leute unterwegs, so dass ich nicht auffiel. Nur ein netter junger Mann in modischer, dunkler Kleidung, der eine Sporttasche trug.
    Ich stieg eine Station weiter aus und lief sechs Blocks zurück zu der Mission, spürte, wie sich die schneidige Anspannung in meinem Inneren verschärfte und mir erneut die Gewandtheit verlieh, die ich benötigte. Wir würden uns später mit Cody und Astor befassen. Jetzt, hier auf der Straße, war ich ganz hartes, verborgenes Leuchten. Das grelle orange-rosafarbene Licht der speziell zur Verbrechensbekämpfung aufgestellten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher