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Kohlenstaub (German Edition)

Kohlenstaub (German Edition)

Titel: Kohlenstaub (German Edition)
Autoren: Anne-Kathrin Koppetsch
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besser in einen Blaumann als in den
Sonntagsanzug.
    Frau Jankewicz
verließ als eine der Letzten die Kirche. »Auf Wiedersehen«, murmelte sie,
nachdem sie eine Münze in das Körbchen geworfen hatte.
    Ihr Kopftuch war
tief ins Gesicht gezogen, sodass es die blonden Haare fast ganz verdeckte.
Immerhin schaute sie mich kurz an, als sie mir flüchtig die Hand reichte. Das
war ein Fortschritt zu gestern Abend.
    Ihre Tochter,
Fräulein Kreuter, legte auf meine Handfläche Finger, die so eiskalt waren, dass
ich erschauerte. Mit ihren dünnen Nylons und dem modischen Diolen-Mantel, der
eher schmückte als wärmte, war sie für das winterliche Wetter deutlich zu
leicht bekleidet.
    Hinter den Damen
folgte ein junger Mann, den ich zum ersten Mal im Gottesdienst sah. Er war
schätzungsweise Mitte zwanzig, etwas jünger als ich.
    »Danke für die
Predigt. Sie war sehr erbaulich«, lobte er. Dann stellte er sich vor:
»Gestatten, mein Name ist Kaminski. Ich bin Ihr Nachbar.«
    Ich musterte ihn
erstaunt. Lebten in den Häusern nebenan nicht die Eisenbahner, einfache und
rechtschaffene Leute, die sich allerdings selten in der Kirche blicken ließen?
Er sah nicht aus wie einer von ihnen.
    »Ich wohne in der
Schule, im Dachgeschoss«, klärte er mich auf. »Eine andere Unterkunft habe ich
leider nicht gefunden, Sie wissen schon, die Wohnungsnot. Ich bin Lehrer.«
    Bei dem letzten
Satz drehte Fräulein Kreuter sich zu uns um und lächelte strahlend. »Lehrer,
wie interessant«, säuselte sie und warf ihr halblanges blondes Haar in den
Nacken. »Ich meine doch, ich hätte Sie schon gesehen.«
    Kaminski nickte und
lächelte zurück. »Bestimmt. Ich wohne in der Nachbarschaft«, wiederholte er.
Plötzlich kam ich mir ausgeschlossen vor. Der lange schwarze Talar verbarg
meine feingliederige Figur. Die dunklen Haare hatte ich zu einem schlichten
Knoten zusammengebunden, so war es am praktischsten. Ich sah eben aus wie die
Pastorin und nicht wie eine junge Frau. Kein Wunder, dass der Lehrer an
Fräulein Kreuter mehr Gefallen fand.
    »Dann können wir
ja zusammen nach Hause gehen«, schlug die Blondine vor und gönnte dem Pädagogen
einen so bedeutungsschweren Blick, als erwarte sie von ihm die Rettung des
Planeten oder mindestens ein Rezept gegen die steigende Kriminalitätsrate.
»Nicht wahr, Mutter?«
    So macht man das
also, dachte ich. Da stand ich nun, der herbe und immer etwas unterkühlte Typ,
und besaß nicht die Gabe, einem Mann das Gefühl zu vermitteln, die Welt und vor
allem ich selbst hätten nur auf ihn gewartet. Ich brauchte immer eine Weile,
bis ich mich für jemand erwärmen konnte – auf jeden Fall zu lange für die
Männer, die mir im Studium angenehm aufgefallen waren. Nun war es ohnehin zu
spät. Ich hatte mich mit meinem Beruf verheiratet.
    »Kommen Sie mit
uns?« Kaminski sah mich fragend an.
    Ich schüttelte den
Kopf. »Ein anderes Mal gerne. Heute haben mich die Schwestern zum Mittagessen
eingeladen.«
    Zu sagen, dass
Fräulein Kreuter über diese Mitteilung erfreut war, wäre untertrieben. Mit
triumphierendem Blick hakte sie sich bei dem Lehrer ein und vergaß vor lauter
Eifer, sich von mir zu verabschieden. Kaminski hingegen zückte seinen Hut und
grüßte höflich zu mir herüber, bevor er am Arm meiner Untermieterin entschwand.
    Ich blickte den
beiden nach. Vermutlich stand der Familie Jankewicz bald eine Hochzeit bevor.
Wenn ich an den vergangenen Abend und den heftigen Streit der Eheleute
Jankewicz dachte, konnte ich sogar verstehen, dass Fräulein Kreuter es eilig
hatte, ihren eigenen Hausstand zu gründen.
    »Zählen wir die
Kollekte jetzt gleich, Fräulein Pastor?«, riss mich Rabenau aus meinen
Gedanken. Ich nickte, und der kräftige Mann folgte mir in die Sakristei.
    Das
Diakonissenhaus lag nur wenige Schritte von der Kirche entfernt. »Pastor
Hanning war heute nicht im Gottesdienst«, stellte Schwester Käthe beim
gemeinsamen Mittagessen fest. »Sonst kommt er immer.«
    Dampfende
Schüsseln mit Braten, Soße, Salzkartoffeln und Gemüse standen auf der weißen
Tischdecke. Schwester Käthe, eine ältere Diakonisse, die Kranke und Bedürftige
in der Gemeinde versorgte, kochte gutbürgerlich und nahrhaft.
    Schwester Tabea,
die neben mir Platz genommen hatte, lud als die Jüngste in unserer Runde die
Portionen auf. Bevor wir mit dem Essen begannen, senkten wir die Köpfe und
falteten die Hände.
    »Komm, Herr Jesus,
sei du unser Gast und segne, was du uns bescheret hast«, sprach die
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