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Kohärenz 01 - Black*Out

Titel: Kohärenz 01 - Black*Out
Autoren: Andreas Eschbach
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ausgefallen war, verteilte sich die angeforderte Last auf andere Leitungen.
    Und überlastete sie.
    Man hat das amerikanische Stromnetz einmal als größte Maschine der Welt bezeichnet. Ob das stimmt oder nicht: Auf jeden Fall war diese Maschine in schlechtem Zustand. Jahrzehntelang hatte man aus Kostengründen Geräte nicht repariert, zu schwache Leitungen nicht ausgebaut, veraltete Anlagen nicht erneuert.
    Ein verhängnisvoller Dominoeffekt begann.
    Diesmal war es die 138-kV-Leitung über Salton, deren Schutzrelais auslöste. Die dadurch in den anderen Leitungen ausgelösten Spannungsspitzen führten dazu, dass siebzehn weitere 138-kV-Verbindungen abschalteten und darüber hinaus zwei 345-kV-Hochspannungsleitungen. Diese Ausfälle wiederum zwangen elf kleinere, mit Gas oder Öl betriebene Kraftwerke im Süden Kaliforniens, sich abzuschalten, weil sie ihre Energie nicht mehr losgeworden wären.
    Die ersten Straßenbeleuchtungen erloschen.
    Etwas wie ein Schrei erfüllte die Kohärenz, als sie begriff, worauf Christopher aus war.
    Zu spät.
    Nun bemerkte man auch in der Zentrale, dass etwas nicht stimmte. Die Operateure stellten die Kaffeebecher beiseite, setzten sich auf, griffen nach den Telefonhörern.
    Zu spät.
    Die Ausfälle hatten – keineswegs zufällig natürlich – die verletzlichsten Punkte des kalifornischen Stromnetzes getroffen. Noch ehe ein Mensch reagieren konnte, hatte sich eine Kettenreaktion in Gang gesetzt, die nicht mehr aufzuhalten war.
    Spannungsspitzen lösten Schutzschalter aus, die Ausfälle wiederum lösten weitere Spannungsspitzen aus, und immer so weiter, Schlag auf Schlag. In einem Kraftwerk nach dem anderen schnellten, Funken sprühend und von knallenden Lichtbogen begleitet, die gewaltigen Stangen der Notabschalter in die Aus-Position. Eine Stadt nach der anderen versank in Dunkelheit.
    Die Kohärenz schrie wie von Sinnen, während die dunklen Flecken auf den Überwachungsbildschirmen immer größer wurden.
    Zu spät.
    In den Häusern erloschen die Digitalanzeigen der Radiowecker, verstummten die Kühlschränke, Tiefkühltruhen und Klimaanlagen. In den Fabriken, die Nachtschichten fuhren, wurde es dunkel, ebenso in den Supermärkten, die rund um die Uhr geöffnet hatten. In Krankenhäusern und Rechenzentren sprangen die Notstromaggregate an.
    Die Kohärenz schrie immer noch, schrie und schrie – doch der Chor ihrer Stimmen wurde leiser und leiser, dünnte aus.
    Zwar waren auch die Rechenzentren der Mobilfunknetze mit Notstromaggregaten ausgestattet – nicht jedoch die Basisstationen. Die Mobilfunkmasten wurden alle über das normale Stromnetz versorgt, und in dem Moment, in dem der Strom ausblieb, verstummte auch die zugehörige Funkzelle.
    Nach und nach erloschen so sämtliche Mobilfunknetze Kaliforniens – und damit auch das Feld.
    Mit anderen Worten: Die Kohärenz verlor ihre Macht.
    Christopher öffnete die Lider, nicht länger imstande, dem Ansturm standzuhalten. Er sah die Upgrader, die auf ihn zukamen, und sah sich zugleich selbst durch ihre Augen. Er verschmolz mit ihnen, mit ihren Gedanken, ihren Absichten, wurde aufgesaugt.
    Es spielte keine Rolle mehr. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das Feld erlosch.
    Dann verstand er, was die Männer dachten, wollten, vorhatten.
    Und er begriff mit jähem Schreck, dass der Stromausfall zwar nicht mehr aufzuhalten war – aber dass er zu langsam passierte!
    Zu spät …

 
    83 | Serenity wusste nicht, was sie tun sollte. Sie stand ratlos in dem dunklen Hausflur, fror an den nackten Füßen, und mit jeder Minute, die verging, wurde ihr mulmiger zumute.
    Erst jetzt bemerkte sie, dass man durch das Fenster am Ende des Flurs direkt auf den toten Baum sah. Er glänzte im Mondlicht wie ein schwarzes Gerippe.
    Sie konnte nicht anders, sie musste zurück ins Zimmer stürzen und Madonna wach rütteln. »Madonna …!«
    »Was denn?«, murmelte ihre Freundin verschlafen.
    »Hast du nichts gehört?«
    »Gehört? Was denn?«
    »Ich könnte schwören, das Telefon hat geklingelt. Aber es ist nichts auf dem Band.«
    Sie lauschten beide in die Dunkelheit, gerade so, als sei das Telefon verpflichtet, sich irgendwie dazu zu äußern. Was es natürlich nicht tat. Es war so still, als seien sie taub geworden.
    »Ich hab nichts gehört, ehrlich nicht«, meinte Madonna. Sie musterte Serenity beunruhigt. »Was ist mit dir? Du bist ja bleich wie Papier!«
    »Ich glaube, es geht gerade alles schief«, flüsterte Serenity.
    »Wieso denn?«
    »Ich weiß es
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