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König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

Titel: König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)
Autoren: Andrea Winkler
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sondern steigt, auf der Schaukel sitzend, in kleinen Schritten vor und zurück. Dazwischen liegt ein Unterschied, oder?
    Das Sofa schiebt mir einen Polster unter die Wange. Danke, Sofa, wie zärtlich von dir. Ich bin so müde, so sonderbar müde, und verstehe nicht, weshalb. Weißt du’s? Und traurig fühle ich mich auch, und weiß nicht, wie’s mir erklären, und draußen regnet es. Kein Wort, nicht ein einziges, über unsere Aufsätze, über nicht einen einzigen, und das, obwohl sie »an die besten Szenen der alten Dichter« heranreichen. Stattdessen ein Taschentuch, das jemandem nachwinken sollte, der im Zug auf und davon fährt, eine Art Wehmut und der Appell, an die richtigen Freunde zu denken, das Netz, das mich aus dem Wasser zieht. Nette Freunde wünscht sich Professor Icks. Was meinst Du, Jakob, hat der Professor wirklich recht? Sicher, er hat mich vorgewarnt, Schweißausbrüche erwarteten mich, Verwirrung und Albträume, Denken sei weiß Gott kein Fest der Freude. – Aber das hier? Was tun wir hier überhaupt? Wahrscheinlich gehört es zur Ausbildung, nach den Sitzungen im Hörsaal im eigenen Zimmer nicht mehr recht zu wissen, wovon die Rede war und was wir beim Nachdenken getan haben. Wer denken lernen will, wer später vielleicht ein profunder Einführer in die Gedanken anderer werden will, einer, der auf der Bühne auf sich aufmerksam macht, indem er den versteht, der neben ihm sitzt, der muss sich ja, hat es geheißen, in der Entsagung üben. In der Entsagung zu verstehen, was er tut, wenn er denkt, ja, über anderes oder einen andern nachdenkt? Ich entsage vielleicht dem Wunsch, hier einen Freund zu finden, vielleicht sogar, mich auf die Schaukel zu setzen und Agnes’ Hände zu hören, die noch nicht wissen, wohin mit sich, weil die Buchstaben auf der Zeile nicht halten wollen. Am liebsten entsagte ich der Röte, die mir zu Kopf steigt, wenn mir einfällt, wie beinah sehnsüchtig Professor Icks’ Augen durch den Raum gingen und das eine oder andere Gesicht ein wenig abschätzig musterten. Ob ich das schaffe? Ob ich es schaffe, meine Röte so fix zu bezwingen wie Professor Stein den Berg fremder Gedanken auf ihrem Pult? Unglück! Bist du noch da? Durch den zerbrechlichen Ton mit den ausgefransten Rändern an meiner Wand schimmert jetzt ein kleiner Strahl von einem fremden Blatt. Womöglich aus Professor Steins Zimmer, um mich zu ermahnen, dass ich nicht zu viel erfinden und ganz und gar bei der Wahrheit bleiben soll, bei nichts als der Wahrheit, sogar hier und jetzt. Gut, dann schreibe ich besser einen Brief.
    Lieber Jakob! Sitzt Du gerade in der Küche und zählst die Wörter auf den Karten, die Du aufs Fensterbrett gestellt hast, mit der Vorderseite zum Hof, auf dass sie, während Du schläfst, statt Deiner die Nacht unterhalten? Oder verfasst Du den siebzigsten Lebenslauf und die vierhundertste Bewerbung für ein Unternehmen, das nur Arbeit für Menschen hat, die Freude am Denken haben? Ach, nichts davon. Du holst ein Buch aus dem Regal und verstrickst Dich schon wieder in ein Gespräch mit irgendeinem nichtsnutzigen Prinzen, der mit dem Hofnarren auf und davon gewandert ist, um nicht werden zu müssen, wie sein Vater geworden ist. Jetzt grade könnte er auf einer Wiese in einem halben Mondschein liegen und die Tropfen zählen, die auf sein Gesicht fallen wollen, aus purer Freude, den am Einschlafen zu stören, der sowieso keine Lust hat, müde zu werden. Keine Lust oder keinen Grund? Ein Irrtum diese Frage, Tropfen! Wohin soll ihn denn der Schlaf holen, wo denn hinunter ziehen, wo ohnehin alles um ihn herum Schlaf ist, langweiliger, unruhiger Schlaf? Hört ihn doch seufzen, still und schön und dreist seufzen, wie einen, dem das Seufzen ganz selbstverständlich ist. Aber wieder ein Irrtum, denn nichts, gar nichts, ist ihm selbstverständlich, das Seufzen auch nicht, und nur darum seufzt er. Prinz, soll ich dennoch was wollen müssen? fragst Du ihn, ausgerechnet diesen Prinzen, der hundert Jahre lang in der Welt herum ziehen könnte, um doch immer wieder nur dem in die Arme zu laufen, dem er entkommen wollte. Wie geht das? – Ach, hören wir lieber, was der Prinz zur Antwort lallt: In ihrem Kern ist die Welt ein verhinderter Gesang um den Bockspreis, der ins Universum, auf die Wiese, ausweicht und dort Faxen macht. Dort wirst du auch betrogen. Betrogen. – Jakob, der Prinz spricht wie Justin. Hast Du gehört? Womöglich ist die Lage des Prinzen noch trauriger als Deine und meine. Uns wird
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