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König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

Titel: König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)
Autoren: Andrea Winkler
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eines Menschen, der in einem fremden Zimmer einer fremden Stadt sitzt, in stiller Freude, an einem Ort aufgenommen zu sein, wo mein Denken und Verstehen so zart werden könnten wie die Hände meiner Schwester, mit denen sie mir dieses Geschenk gemacht hatte. Ob es mir jetzt helfen würde, meine Aufgabe zu erfüllen und näher zu bestimmen, was mir ein fremder Gedanke ist und wie ich mit ihm Umgang pflege? Ich habe, entgegen meiner anfänglichen Bedenken, nun doch noch etwas anderes an die Wand geheftet, die kleine Kopie eines Bildes, auf dem eine Frau aus dem Fenster sieht. Sehnsucht, bist du noch da? Wenn ich das Fenster öffne und den Kopf hinaus strecke, als ob da draußen Antwort wäre, ein kleines Seufzen, ein Lachen oder das Trippeln von Schritten, werde ich womöglich Agnes wieder hören, das Streichen ihrer Hände über den Rockstoff. Sie steht hinter mir, und ich gehe wieder, wie damals, in kleinen Schritten vor und zurück und vergesse, wozu ich hierher gekommen bin. Um mich herum wird mein Zimmer dunkler, und die Lampe verwandelt sich in ein kleines Feuer, das im Kamin brennt, aber nicht mehr lange. Bevor es erlischt, wird die Frau am Fenster jemand anders sein, eine Erinnerung an etwas Unbestimmtes, das vor ihr liegt, das zu ihr kommt, so wie damals, als ich auf der Schaukel saß, ohne zu schaukeln, Agnes zu mir kam, ohne dass ich sie hätte berühren dürfen und können. Sie, die Frau am Fenster, wird vergessen, was sie hier in diesem Zimmer umgibt, und kein Augenmerk mehr auf das Dunkle legen, den Schatten, den sie selber wirft. Denn jetzt, wo sie ihren Blick auf etwas richtet, das ich nicht sehen kann, verschwinden der Tisch und der Sessel noch einmal, und es verschwinden sogar der Mantel und der Hut vom Schrank, und es geht die Lampe, das Kaminfeuer, beinah aus. Das macht nichts, denn die Frau am Fenster wird sie nicht mehr brauchen. Jetzt, da sie sich hinaus- und hinüberbeugt, wird sie gar nichts mehr von dem brauchen, was da ist, auch mich nicht, mich, die noch näher zur Wand getreten ist, um vom hauchdünnen Ton, der wie Papier aussieht, die Sehnsucht, die Feigheit, die Lüge zu holen und mit ihnen noch zarter zu werden. Um Agnes zu berühren, ohne sie auch nur irgendwo zu streifen? Um ihr zu bedeuten, dass ich an diesem langen Nachmittag, an dem ich mich ihrer erinnerte und sie zu mir kam, nur noch halb im Garten war, halb auf der Schaukel saß? Ich dachte an gar nichts, ich hörte nur etwas wieder und vergaß dabei, was ich wollte und dass dies ein Tag war, von dem man unter andern Umständen wünscht, er möge niemals zu Ende gehen. Vor und zurück in kleinen Schritten, wie damals, auf dass die Frau am Fenster nur noch halb dem Zimmer angehört und halb in einen fremden Gedanken übergeht. Wenn solches Übergehen schon ein Umgang für mich wäre? Und die Helligkeit, in die sie ihren Kopf taucht, mich später dazu aufforderte, jetzt doch den Mantel vom Schrank zu nehmen und mit ihm das Weite zu suchen? Draußen wird alles anders, draußen spielt es keine Rolle mehr, ob ich hier zur Wand trete oder am Stuhl sitzen bleibe und glaube, dass ich hier und jetzt ganz verzichtbar bin, so verzichtbar wie nach und nach alle Gegenstände, die Bank und der Tisch, der Schrank und der Schemel, die ich doch anders anordnen wollte. Draußen, dort, wo sich etwas von meinem Gesicht hinstreckt, verliert sich der Tag und die Gewissheit, mit der ich die Tür öffnete, um sogleich meine Aufgabe zu erfüllen, nämlich darüber klarer zu werden, was mir ein fremder Gedanke ist und wie ich ihm begegne und mich zu ihm verhalte. Stattdessen trat Agnes ein, stellte sich hinter die Frau am Fenster und strich mit ihren Händen über den Rock, nur ganz kurz. Und, so vorgebeugt, so hinüber gebeugt, tut es nicht not, dass ich mich umdrehe und Agnes’ Gegenwart prüfe. Sie ist wieder gekommen, nach so vielen Jahren, nach einem halben und, wer weiß, vielleicht einem ganzen Leben. Nach so langer Zeit taucht sie hier auf und setzt mich aufs neue auf die Schaukel, in den Garten, lässt mich kleiner werden, und aus dem Zimmer hinausdrängen ins Freie und doch jedes Wort, die ganze Sehnsucht, die ganze Angst, durchs Gedicht an der Wand deutlicher erkennen. Unglück, bist du noch da? Und hörst mir zu, während weiter nichts vor sich geht, als dass ich da stehe und hinaus schaue und alles, was hinter mir liegt und mich hier zurück hält, vergehen lasse. Ich schreibe an die Straße einen Brief, an jeden Laut, der von da unten, von
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