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Kobra

Kobra

Titel: Kobra
Autoren: Christina Czarnowske
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Buchstaben. Es liegt auf der Hand: Man muss eine bestimmte Kombination oder ein Wort einstellen, und dann lässt sich die Koffertasche öffnen.
    Ich stehe da, überlege und denke das, was Sophie laut ausspricht: „Wozu soll das gut sein, Dr. Vincent? Ein Geheimschloss an einer Tasche, die mit einem Messer ...“ 
    Sie spricht nicht zu Ende.
    Das ist klar. Mit einem scharfen Messer kann jeder auch ohne das Schloss an den Inhalt der Tasche heran. Ich befühle sie von außen und ändere sofort meine Meinung. Die Tasche ist allzu hart. Zumindest das kann ich mit meinen Arztfingern fühlen. Es ist, als spüre ich festes, aber nachgebendes Plastik. Nichts von Messer. Diese Tatsache ist gepanzert. Nicht mit Stahl, sondern mit einem anderen Material, denn schwer ist sie nicht. Ich habe davon schon mal gelesen, es aber noch nicht gesehen. Fest steht nur eins – Raphael Delacroix gehörte nicht zu den Einfältigen.
    „Geh und hol bitte die Rozier-Brüder!“, sage ich zu Sophie. „Der Wagen ist unten, sie sollen bitte sofort kommen!“ 
    Sophie nickt und schiebt ab, ich stelle die unselige Tasche auf den Schreibtisch und befasse mich mit etwas anderem. Ich ziehe die Vorhänge zurück und trete auf den Balkon. Es herrscht noch tiefe Nacht. Nur die Schaufenster sind erleuchtet. Ab und zu unterbrechen Schritte die Stille. Jemand spricht laut, ein Auto fährt vorbei, die Reifen zischen über den nassen Asphalt. Zu dieser Stunde ist Paris eine Stadt der seltsamen Geräusche, die wir tagsüber nicht wahrnehmen. Und über allem liegt der bläuliche Schein der Lumineszenz-Sonnen.
    Mich jedoch interessiert der Blick aus der dritten Etage des Hotels „Novotel“ nicht sonderlich. Ich bin viel realistischer eingestellt und will erkunden, ob von den Nachbarbalkons jemand hier einsteigen konnte, um Raphael Delacroix bei seinem Vorhaben zu helfen. Das Köfferchen mit dem Geheimschloss bringt mich auf solche und andere, nicht eben freudige Gedanken. 
    Ein Blick genügt, um festzustellen, dass das beinahe unmöglich ist. Dieses Hotel wurde zu einer Zeit gebaut, als durchgehende Balkons eine architektonische Ketzerei bedeuteten. Bis zum rechten Balkon sind es anderthalb Meter. Eigentlich keine große Entfernung, wenn man sich auf ebener Erde befindet, aber zu weit, wenn sich unter einem ein Abgrund von drei Etagen befindet. Und die Bretter, Stricke und sonstigen Requisiten, die in Romanen geschickte Verbrecher in solchen Fällen zum Herübersteigen benutzen, die bleiben besser in den Romanen. Ein normaler Mensch hätte so ein Akrobatenkunststück nicht riskiert.
    Links ist es noch hoffnungsloser. Da sind es bis zur breiten Terrasse beinahe drei Meter.
    Ich gehe ins Zimmer zurück. Alles ist an seinem Platz: das Sakko auf dem Stuhl, der Koffer auf dem Gestell, die Spritze, die Ampulle, die Zigarettenstummel. Alles, nur der Mann nicht.
    Bevor ich hinausgehe, betrachte ich den Koffer. Der Gepäckanhänger vom Flugzeug baumelt an einem weißen Band. Beirut, ich hatte es schon bemerkt, als ich den Koffer untersuchte. Raphael Delacroix ist aus Beirut gekommen. Aber dazu später. Auf dem Weg zum Lift werfe ich den diskret montierten Kameraaugen an den Ecken der Decke im Gang zu. Jetzt muss ich erst mit den Leuten vom Hotel reden.

2.Kapitel
     
     
    Einer aus meinem Team steht in der Halle beim Empfangschef. Er sieht mich und ist offensichtlich erleichtert. Ich trete hinzu und verstehe. Der Empfangschef, Jean Legrand, gehört zu den alten Hotelhasen, die bereits so lange im Dienst sind, dass sie am Ende schon fast zum Inventar gehören. Sie reißen ihren Nachtdienst ’runter, langweilen sich dabei zu Tode und warten nur darauf, dass ihnen jemand in die Hände fällt.
    Jetzt ist dem Jean Legrand ein Mann von der Police Nationale ins Netz gegangen, und das vor dem Hintergrund des Vorfalls dieser Nacht, bei dem er sich als Hauptfigur fühlt. Er ist ein knochiger, sehniger Alter mit einem autoritären Falsett, dazu geboren, anzuleiten und zu belehren.
    Dennoch muss ich ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ein anderer, nicht so erfahrener und nachlässiger Mann an seiner Stelle hätte dem Empfangschef gesagt, er solle sich um seinen eigenen Kram kümmern. Dann wäre er abgelöst und Raphael Delacroix’s Tod nicht vor morgen Mittag entdeckt worden. 
    Jean Legrand verstummt, als er mich erblickt.
    „Ich brauche Sie für einen Moment, Herr Legrand.“ 
    „Zu ihrer Verfügung, Dr. ...“ 
    „Bouché.“ 
    „Selbstverständlich, Dr. Bouché.
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