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Knuddelmuddel

Knuddelmuddel

Titel: Knuddelmuddel
Autoren: Annegret Heinold
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auf der Rückfahrt hat Tom mir so ein Schild geschenkt. Rue de Montparnasse. Hatte er bei einem Straßenhändler erstanden. Bine hat damals mit diesem Freund von Tom geschlafen.
    „Wie hieß eigentlich damals dieser Freund von dir, der, mit dem Bine geschlafen hat?“, frage ich Tom.
    „Dirk“, sagt Tom. „Das war Dirk. Aber der hatte was mit der Andrea.“
    „Mit der Andrea?“, sage ich. „Ich dachte immer mit Bine.“
    „Nein, nein, das war die Andrea“, sagt Tom.
    Wir schlendern durch Campo Ourique und ich zeige Tom meine Welt. Wir gehen am deutschen Friedhof in der Rua do Patrocínio vorbei, aber zum Glück ist er geschlossen, obwohl er laut Schild eigentlich geöffnet sein sollte. Ich wäre doch glatt mit dem neuen Mann an meiner Seite auf einen Friedhof gegangen. (Da fragt man sich ja auch ...)
    Ich zeige Tom den Laden mit den Halbedelsteinen. Wir trinken Kaffee im Café Covas. Wir gehen im Pingo Doce einkaufen und Tom trägt die Einkaufstasche. Das fühlt sich gut an. Ich bin wieder Teil eines Paares, man hat jemanden, mit dem man Beobachtungen austauschen kann. Jemanden, an den man sich anlehnen kann. Jemand, der einen zurückhält, wenn man bei Rot über die Ampel geht.
    „Du kannst doch hier nicht einfach bei Rot über die Ampel“, sagt Tom und hält mich am Arm fest.
    „Diese Ampel braucht ewig, bis sie grün wird“, sage ich. „Das ist eine Fehlschaltung, jeder geht hier bei Rot über die Ampel.“
    Und es stimmt – alle gehen bei Rot über die Ampel. Selbst Omas mit Einkaufstüten und Frauen mit kleinen Kindern. Das ist nämlich wirklich eine Fehlschaltung, jedenfalls ist ganz Campo de Ourique davon überzeugt. In Deutschland würde man in so einem Fall bei Rot stehenbleiben und jemand würde sich bei der Stadt beschweren. Sollte das nicht nützen, würde man Unterschriften der Anwohner und Passanten sammeln und eine weitere Eingabe machen. Womöglich gebe es sogar Versammlungen. Mit Vorsitzendem und einem Schriftführer, der für das Protokoll zuständig ist. Eines Tages würde eine Hamburger Tageszeitung einen Journalisten in den Stadtteil schicken, der einen Artikel über die Fehlschaltung und die nicht-reagierende Straßenverkehrsbehörde schreiben würde. Mit einem Schwarz-weiß-Foto der Autos und der Ampel zur Illustration, obwohl ja eigentlich jeder weiß, wie Ampeln und Autos aussehen. Und dann vielleicht, eines Tages, irgendwann, nachdem der Vorgang in der Verkehrsbehörde in Aktendeckeln von Stockwerk zu Stockwerk gewandert wäre und von allen zuständigen Sachbearbeitern mit vielen Unterschriften abgezeichnet worden wäre, würde die Fehlschaltung behoben werden. Hier in Lissabon gehen wir einfach bei Rot über die Straße und schon ist das Problem gelöst.
    „Ist es eigentlich sehr schwer, Portugiesisch zu lernen?“, fragt Tom.
    „Geht so“, sage ich. „Möglich ist es, ich habe es ja auch gelernt.“
    Aber will ich überhaupt, dass Tom Portugiesisch lernt?
    Das ist die Frage, die ich nicht laut stelle. Wenn Tom Portugiesisch lernt, bedeutet das, er richtet sich darauf ein, hier zu bleiben. Hier bei mir. Wieso ist er darauf eingegangen bei mir zu bleiben? Ich könnte ihn fragen, aber dann würden wir das ganze auch noch thematisieren und dann würde da ganz schnell ein ernstes Thema draus. Es heißt immer, Frauen würden so gerne und viel über Beziehungen reden. Alles analysieren. Und dass die Männer nicht drüber reden wollen. Vielleicht wundert sich der Tom deswegen auch nicht darüber, dass ich ihn nicht frage, wieso er eigentlich bleibt. Es scheint gut zu passen. Wer braucht da eine Begründung? Aber ist er wirklich mein Mr Right? Und wenn man diese Frage überhaupt stellt, wenn man zweifelt, ist das nicht im Grunde schon die Antwort?
     
    Es ist Samstagnachmittag und immer noch Juni und die Lage in meiner Wohnung in der Ferreira Borges immer noch unverändert. Ich gehe immer noch von Montag bis Samstag in das Reisebüro und verkaufe bunte Ferienträume. Tom arbeitet an einem Fotobuch mit fast abstrakten Fotografien von Details, fast so etwas wie Drudel, aber das darf man natürlich nicht laut sagen, schließlich will ich Tom nicht beleidigen. Tom ist nämlich Fotograf – das hatte ich glaube ich noch garnicht erwähnt. Er hat auch mal Betriebswirtschaft studiert, damals nach seiner Weltreise, aber er ist schon vor Jahren „ausgestiegen“, ein Ausdruck, den er zu Recht hasst wie die Pest, weil ihm so was Verächtliches anhängt, und hat sich als Fotograf
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