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Knochenfinder

Knochenfinder

Titel: Knochenfinder
Autoren: Melanie Lahmer
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ihr das Ende eines Seidenschals in den Mund gesteckt, das Tuch dann mehrmals um den Kopf gewickelt und einen Knoten geschlungen. »Es ist ein weicher Seidenschal«, hatte er dazu bemerkt. »Nicht ganz billig. Damit Sie sehen, wie wertvoll Sie für mich sind.«
    Sie hatte versucht, den Schal wieder loszuwerden, und ihre Zunge von unten dagegengedrückt, aber der Knebel saß fest. Er machte seine Sache gründlich. Dabei müsste ihm doch auch klar sein, dass sie hier unten niemand hörte. Aber vielleicht wollte er durch die Knebelung das Gefühl der Bedrohung verstärken. Eines seiner Psychospiele ...
    Plötzlich legte er einen Zeigefinger auf die Lippen und bedeutete ihr, ganz ruhig liegen zu bleiben. Natascha hatte geglaubt, ihre Angst könnte sich nicht mehr steigern, wäre an ihrem Zenit angekommen – doch sie hatte sich geirrt. Es gab noch eine Steigerung. Ein rotes Stechen zog sich durch ihren Körper: Es begann an der Stirn, fuhr durch die Luftröhre und endete in einem spitzen Schmerz in der Blase. Sie hatte das Gefühl, sich jeden Moment einzunässen.
    Im Hintergrund vernahm sie Geräusche. Leise nur, aber deutlich zu hören. Was war das? Der Schmerz zog sich aus ihrer Blase zurück, verwandelte sich in Energie und ließ ihren Puls hochschnellen. Sie versuchte, sich ihre Irritation nicht anmerken zu lassen, während sie zu ihm aufblickte. Er hatte sich aufgerichtet und stand nun bedrohlich über ihr, als könnte er sie mit einem einzigen Fußtritt zerquetschen.
    Doch er beachtete sie gar nicht. Seine Aufmerksamkeit galt den Geräuschen hinter ihnen.

Kapitel 64
    Simon rannte so schnell wie möglich zur Hütte. Wieder schnellten ihm Zweige ins Gesicht, aber er ließ sich nicht davon bremsen. Die Gedanken in seinem Kopf rasten. Er musste dringend Schmitz und seinen Kollegen Bescheid sagen. Auf einmal war alles, was die Kriminaltechniker in der Hütte herausfinden konnten, extrem wichtig geworden. Und es mussten Streifen zu Münker fahren – aber darum hatte sich ja Lorenz längst gekümmert. Auch Winterberg wusste Bescheid und würde in kürzester Zeit an der Hütte sein.
    Der Boden war uneben, und Simon wäre beinahe über einen großen Stein gestolpert, der mitten auf dem Weg lag. Er hielt einen Moment inne. Warum hatte er den vorher nicht bemerkt? Egal – er musste weiterrennen und durfte keine Zeit verlieren.
    Als er die Hütte erreichte, blieb er wenige Schritte davor stehen. Die Tür stand offen und gab den Blick frei auf den Innenraum, der von Baustrahlern grell ausgeleuchtet wurde, damit man auch den kleinsten Fussel finden konnte. Durch die Tür fiel ein Rechteck aus gelbem Licht auf den dunklen Waldboden, und auch die Fenster an den Seiten der Hütte ließen helles Licht nach außen scheinen. Der Anblick wirkte surreal und bedrohlich. Simon überkam ein Gefühl der Unwirklichkeit – als wäre all dies nur die Kulisse eines Gruselfilms.
    Er befreite sich von dem lähmenden Eindruck und trat näher heran. Ein Kollege von Schmitz hockte in seinem weißen Papieranzug neben der Tür und leuchtete regelrecht, weil er sich im Lichtstrahl eines der Baustrahler befand. Er sah kurz auf, als er Simon kommen hörte.
    »Hi. Guck dir mal die Überraschung da drinnen an.« Er zeigte mit dem Daumen über seine Schulter.
    Simon stellte sich vor den Eingang und hatte zunächst Schwierigkeiten zu verstehen, was er da sah. Das Innere der Hütte hatte sich extrem verändert. Das Schlafsofa stand nicht mehr an seinem alten Platz an der Wand, sondern war hochkant aufgestellt worden. Auch der kleine Tisch stand nicht mehr an seinem alten Platz unter dem Fenster mit den bunten Vorhängen, sondern war an die Seite gerückt worden. Der Flickenteppich, der vorher auf dem Dielenboden gelegen hatte, war nirgendwo mehr zu sehen – genauso wenig wie ein Teil der Dielenbretter. An ihrer Stelle klaffte ein riesiges Loch, gut zwei mal zwei Meter groß.
    »Eine Bodenklappe!«, entfuhr es Simon.
    »Jepp.« Schmitz trat zu ihm und schlug ihm auf die Schulter. »Darauf sind wir gestoßen, als wir die Möbel verschoben haben. Kann man sich kaum vorstellen, oder?« Schmitz reichte ihm Überziehschuhe aus Plastik.
    »Nein.« Simon streifte die Überzieher über seine Schuhe und ging in die Hütte. »Was hat das zu bedeuten?«
    Er ging zum Rand der Öffnung und sah nach unten. Im Licht der Baustrahler konnte er eine schmale Holzleiter erkennen, die hinunterführte. Nach etwa zwei Metern endete sie auf steinigem Untergrund. Gleich daneben
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