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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei
Autoren: J.R. Moehringer
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Geschichte.
    Leider bedeutet das, fügt Katherine hinzu, dass du den ersten Weihnachtstag mit einem Reporter verbringst und nicht mit der Familie. Ist das in Ordnung?
    Sutton denkt an seine Familie. Er hat seit Jahren nicht mit ihnen gesprochen. Er denkt an Reporter – mit denen er noch nie gesprochen hat. Er mag keine Reporter. Trotzdem ist jetzt nicht die Zeit, um Ärger zu machen.
    Das geht in Ordnung, Katherine.
    Kennst du denn jemanden, der dich am Gefängnis abholen und zum Flughafen fahren kann?
    Ich finde schon jemand.
    Er legt auf, ruft Donald an, der beim zehnten Klingeln rangeht.
    Donald? Ich bin’s, Willie.
    Wer ist da?
    Willie. Was machst du gerade?
    Oh. Hey. Ich trinke ein Bier und wollte mir gleich
The Flying Nun
ansehen.
    Hör mal. Wie es aussieht, lassen sie mich heute Abend raus.
    Sie lassen
dich
raus, oder du lässt dich
selber
raus?
    Es ist sauber, Donald. Sie machen die Tür auf.
    Ist die Hölle zugefroren?
    Keine Ahnung. Aber der Teufel trägt definitiv einen Pullover. Kannst du mich am Eingang abholen?
    Bei dem Dornröschending?
    Ja.
    Natürlich.
    Sutton fragt Donald, ob er ihm ein paar Sachen mitbringen kann.
    Was du willst, erwidert Donald. Schieß los.
     
    Ein TV -Übertragungswagen aus Buffalo donnert zum Eingang. Ein Reporter springt heraus, fummelt an seinem Mikrophon. Er trägt einen Zweihundert-Dollar-Anzug, einen Kamelhaarmantel, graue Lederhandschuhe, silberne Manschettenknöpfe. Die Printreporter stoßen einander an. Manschettenknöpfe – hast du Töne?
    Der Fernsehreporter schlendert zu seinen Kollegen von der Presse und wünscht allen frohe Weihnachten. Gleichfalls, murmeln sie. Dann herrscht Schweigen.
    Stille Nacht, sagt der Fernsehreporter.
    Niemand lacht.
    Der Mitarbeiter von
Newsweek
fragt den Fernsehreporter, ob er heute Morgen Pete Hamill in der
Post
gelesen hat. Hamills als Brief an den Gouverneur gerichtete eloquente Verteidigung Suttons und sein Gesuch um Suttons Entlassung könnten der Grund dafür sein, dass sie alle hier versammelt sind. Hamill appellierte an Rockefellers Gerechtigkeitssinn.
Wäre Willie Sutton ein Vorstandsmitglied von General Electric oder ein ehemaliger Wasserkommissar und nicht der Sohn eines irischen Schmieds, dann wäre er schon ein freier Mann.
    Der Fernsehreporter erstarrt. Ihm ist klar, dass die Presseheinis glauben, er lese nicht – könne nicht lesen. Klar, sagt er, ich fand, Hamill hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Vor allem seine Äußerung über die Banken.
Nicht wenige unter uns haben beim derzeitigen Hypothekenzinssatz den Eindruck, dass die Banken es sind, die uns ausrauben
. Und bei der Bemerkung über Suttons Wiedervereinigung mit einer verlorenen Liebe hat es mir die Kehle zugeschnürt.
Willie Sutton sollte noch einmal im Prospect Park sitzen und die Enten beobachten dürfen oder sich bei Nathan’s einen Hotdog holen und eine alte Flamme auf einen Drink einladen.
    Eine Diskussion entspinnt sich. Verdient Sutton es wirklich, frei zu sein? Er ist ein Gangster, sagt der
Newsday
-Reporter – warum die ganze Lobhudelei?
    Weil er, sagt der
Post
-Reporter, in Teilen von Brooklyn ein Gott ist. Schau dir mal die Leute hier an.
    Mittlerweile sind mehr als zwei Dutzend Reporter und zwei weitere Dutzend Zivilisten versammelt – Verbrecherfans, Polizeifunkabhörer, Neugierige. Schräge Vögel. Ghule.
    Doch der
Newsday
-Reporter sagt wieder: Ich frage euch, warum?
    Weil Sutton Banken ausgeraubt hat, sagt der Fernsehreporter, und wer zum Teufel hat was Gutes über Banken zu sagen? Sie sollten ihn nicht nur rauslassen, sie sollten ihn zum Ehrenbürger erklären.
    Ich begreife nicht, sagt der
Look
-Reporter, warum Rockefeller, ein ehemaliger Banker, einen Bankräuber laufen lässt.
    Rockefeller braucht die irischen Wählerstimmen, sagt der Reporter der
Times Union
. Ohne irische Wählerstimmen wirst du in New York nicht wiedergewählt, und Sutton ist wie Jimmy Walker und Michael Collins und ein paar Kennedys zusammen in einem großen irischen Eintopf.
    Er ist ein verdammter Gauner, sagt der
Newsday
-Reporter, der möglicherweise betrunken ist.
    Der Fernsehreporter schnaubt verächtlich. Unter dem Arm trägt er das
Life
-Magazin der vergangenen Woche, mit Charles Manson auf dem Titelbild. Er hält das Magazin hoch: Manson starrt ihnen böse entgegen, niemandem, allen.
    Verglichen mit diesem Typen, sagt der Fernsehreporter, und den Hells Angels und den Soldaten, die all die Unschuldigen in My Lai abgeschlachtet haben, ist Willie
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