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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor
Autoren: Die Tagebücher
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u. Akrobaten um ihn, verliebt in eine schöne Kapellmeisterin, * Luise Rainer, 10 der er nach dépit amoureux den Preis verschafft. Happy end für ihn, sie u. einen jungen Componisten. Lustigste Scenen – eine Erholung u. Ablenkung.
    Statt Deutschland sollte man künftig Arminien sagen. Es ist lautreicher u. klingt an Armenien an. – Ein Märchen von * Andersen 1 : Galoschen des Glücks. Ein Professor hat in Gesellschaft von den Zuständen des 14. Jahrhunderts gesprochen, denkt im Heimgehen, wie es damals in Kopenhagen ausgesehen habe – u. plötzlich ist das Pflaster fort, u. er versinkt im Dreck. Manchmal glaube ich, solche Gamaschen anzuhaben. Aber man versinkt auch ohne sie bodenlos.
     

 
    Montag Abend 3. März April .
    Am Sonnabend rote Zettel an den Geschäften: Anerkannt christlich deutsch-christliches Unternehmen. Dazwischen geschlossene Läden, SA Leute davor mit dreieckigen Schildern: Wer beim Juden kauft, fördert den Auslandboykott u. zerstört die deutsche Wirtschaft. – Die Menschen strömten durch die Pragerstr. u. sahen sich das an. Das war der Boykott. Vorläufig nur Sonnabend – dann Pause bis Mittwoch. Banken ausgenomen. Anwälte, Ärzte einbegriffen. Nach einem Tage abgeblasen – der Erfolg sei da u. Deutschland großmütig. Aber in Wahrheit ein unsinniges Schwanken. Offenbar Widerstand im Aus = u. Inland, u. offenbar von der andern Seite Druck der nationalsoz. Straße. Ich habe den Eindruck, daß man rasch der Katastrophe zutreibt. Daß die Rechte nicht mehr lange mitmachen kann, die ns. Diktatur nicht mehr lange erträgt, daß andrerseits * Hitler nicht mehr frei ist u. daß die N.S. zu immer heftigerer Gewalt drängen. Heute die Rectoren der Univ. Frankfurt, der TH. Braunschweig, 2 der Leiter der Bonner Univ.-Klinik * Kantorowicz, 3 ein christlicher Börsenredacteur der Frankfurter Ztg. verhaftet. Usw ... Eine Explosion wird komen – aber wir werden sie vielleicht mit dem Leben bezahlen, wir Juden. Entsetzlich ein Pronunciamento 4 der Dresdener Studentenschaft, es sei gegen die Ehre der deutschen Studenten, mit Juden in Berührung zu treten. – Ich kann nicht an meinem Frankreichbild arbeiten. Ich glaube nicht mehr an die Völkerpsychologie. Alles was ich für undeutsch gehalten habe, Brutalität, Ungerechtigkeit, Heuchelei, Massensuggestion bis zur Besoffenheit, alles das floriert hier. –
    Am Sonnabend Abend in Heidenau bei * Annemarie u. * Dr Dressel. 5 Beide rechts stehend, bei[de] anti-ns.u. entsetzt. Aber beide isoliert in der Stimmung ihres Johanniter-Krankenhauses. – Am Sonntag Nachm. eine Stunde allein bei den tief bedrückten * * Blumenfelds. Ich klagte sehr über * Eva, deren Befinden unter der Deutschlandkatastrophe aufs äußerste leidet; ich glaube in all den Leidenszeiten seit Lugano 6 habe ich sie nicht so verzweifelt gesehen.
    Ich habe auf ihren Wunsch hier zum 1. Juli gekündigt. Wir wollen, um Geld freizubekomen, die Wohnung teilen lassen u. nur noch 3 Zimmer davon mieten. Ich habe * Praetorius Auftrag zum Einzäunen meines Geländes erteilt. 625 M Kosten von 1 100 M Reserven! Wir suchen krampfhaft Kredit von 8–10 000 M. aufzutreiben für einen Klein = oder Teilbau. Es ist aber jetzt noch aussichtsloser als zuvor. Auch für uns persönlich drängt alles zur Katastrophe.
     

 
    Freitag Morgen 7 März April
    Es lastet ein stärkerer Druck auf mir als im Kriege, u. zum erstenmal im Leben habe ich einen politischen Haß gegen das Collektivum einer Gruppe (im Kriege nicht), einen tötlichen. Im Krieg stand ich unter Militärgesetz, aber doch unter Gesetz; jetzt bin ich der Willkür ausgeliefert.
    – Heute (das wechselt) bin ich wieder weniger gewiß, daß die Katastrophe bald eintreten wird. –
    Man wagt keinen Brief zu schreiben, man wagt nicht zu tele telephonieren, man besucht sich u. erwägt seine Chancen. Der Referent im Ministerium hat das gesagt, jener dies. Das könnte günstig sein. Aber man weiß nicht, ob der mit der günstigen Meinung am Ruder bleibt, wie weit er überhaupt am Ruder ist usw. usw. Ein Tier ist nicht rechtloser u. gehetzter. – – Gestern schrieb mir * Albert Hirsch 1 aus Frankfurt a/M: beurlaubt nach 13jährigem Dienst. Unklar wovon leben. Zieht mit * Frau u. zwei * * Kindern zu Schwiegereltern. Vielleicht, günstigstenfalls, erhält er ein paar Pfennig Pension, aber bestimmt nicht eine Summe, die zum Leben entfernt ausreicht. – Ein Fall von tausenden, abertausenden. – * Edgar Kaufmann , 2 seit 4 Wochen Familienvater,
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