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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede
Autoren: Anne Tyler
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ein Fernsehzimmer. Die Samtvorhänge
blieben ständig zugezogen, das Licht schien wie in einem altmodischen Kinosaal
staubig dunkelrot. Limonadenbüchsen und leere Salzbrezeltüten, Stapel
ausgeliehener Videofilme lagen kreuz und quer auf dem niedrigen Tisch, und auf
dem Sofa räkelte sich Susie, sah mit ihrem Freund Driscoll Avery die
allsamstagmorgendliche Cartoonshow. Die beiden waren schon so lange miteinander
befreundet, sie wirkten wie Geschwister, hatten beide die gleiche glatte beige
Haut und stämmige taillenlose Figuren, trugen identische ausgebeulte
Trainingsanzüge. Driscoll blinzelte kaum merklich, als Delia das Zimmer betrat,
Susie tat nicht einmal das, wechselte gerade per Fernbedienung das Programm.
    »Morgen, ihr zwei«, sagte
Delia. »Hat jemand angerufen?«
    Susie zuckte die Achseln und
hüpfte auf einen anderen Kanal. Driscoll gähnte lauthals. Nur deshalb
entschuldigte sich Delia nicht, als sie vor den beiden her zum Anrufbeantworter
ging. Sie beugte sich, drückte den Message-Knopf, aber nichts geschah.
Elektronische Geräte blieben ihr immer ein Rätsel. »Wie mache ich - ?« sagte
sie, und schon füllte eine spröde Altmännerstimme den Raum. »Dr. Grinstead,
können Sie gleich zurückrufen? Hier ist Grayson Knowles, und ich habe wegen der
Tabletten mit dem Apotheker gesprochen, aber er läßt fragen, ob — «
    Was immer der Apotheker fragen
ließ, wurde von einem Schwall Bugs-Bunny-Musik übertönt. Offenbar hatte Susie
den Fernseher lauter gestellt. »Piep«, sagte die Maschine, und dann war Delias
Schwester zu hören. »Dee, ich bin’s, Eliza. Ich brauche eine Adresse. Kannst du
mich bitte auf der Arbeit anrufen?«
    »Arbeitet sie jetzt auch
samstags?« fragte Delia, bekam aber keine Antwort.
    Piep. »Hier ist Myrtle
Allingham«, sagte eine alte Frau geradeheraus.
    »Oh, Gott«, sagte Susie zu
Driscoll.
    »Marshall und ich meinen,
vielleicht habt ihr alle Lust, am Sonntagabend bei uns zu essen. Nichts
Aufregendes! Nur wir! Und Miss Susie soll auch ihren lieben Driscoll
mitbringen. Sagen wir, sieben Uhr?«
    Piep piep piep piep piep. Ende.
    »Wir sind schon letztes Mal
mitgegangen«, sagte Susie und drückte sich noch tiefer ins Sofa. »Uns kannst du
vergessen.«
    »Also, ich weiß nicht«, sagte
Driscoll. »Ihr Krabbendip ist nicht der schlechteste.«
    »Wir gehen nicht hin, Driscoll,
schlag’s dir aus dem Kopf.«
    »Sie ist einsam, sonst nichts«,
sagte Delia. »Sitzt zu Hause mit ihrer Hüfte, kommt nicht vor die Tür — «
    Über ihnen hämmerte es.
    »Was ist das denn?« fragte sie.
    Wieder Hämmern. Oder eher
Scheppern. Schepper! Schepper! in regelmäßigen Abständen, geradezu
planmäßig.
    »Klempner?« schätzte Driscoll.
    »Welcher Klempner?«
    »Klempner oben im Badezimmer?«
    »Ich habe keinen Klempner
bestellt.«
    »Vielleicht Dr. Grinstead?«
    Delia sah Susie an. Susie sah
höflich zurück.
    »Ich weiß nicht, was in diesen Mann
gefahren ist«, sagte Delia. »Er re... re... na, renommiert, ach« — sie war sich
voll bewußt, daß ihr niemand zuhörte — »ich meine, er re... renoviert dieses
Haus, bis es keiner wiedererkennt. Wenn das die Decke ist, dann finde ich
doch...«
    Sie ging die Treppe hinauf,
traf auf halbem Weg die Katze, die ihr verstört in die Quere rannte. Vernon
haßte Lärm. »Hallo?« rief Delia und steckte den Kopf zur Badezimmertür hinein.
Ein Mann mit Pferdeschwanz hockte neben den gußeisernen Löwentatzen der
Badewanne, untersuchte die Rohre. »Guten Tag«, sagte sie.
    Er drehte sich um und sah sie
an. »Oh, hallo«, sagte er.
    »Wo liegt das Problem?«
    »Kann ich noch nicht sagen«,
erklärte er. Er hantierte weiter an den Rohren.
    Sie wartete einen Augenblick,
ob er dem etwas hinzufügte, doch eigentlich wußte sie gleich, er zählte zu
jenen Handwerkern, die nur mit den Herren des Hauses verkehrten.
    In ihrem Schlafzimmer setzte
sie sich auf Sams Bettseite und wählte Elizas Arbeitsstelle. »Pratt
Bibliothek«, sagte eine Frauenstimme.
    »Ich möchte Eliza Felson
sprechen.«
    »Einen Augenblick.«
    Delia schob sich ein Kissen in
den Rücken, hob mit Schwung ihre Beine auf die rosafarbene Rüschendecke. Der
Klempner war in das Badezimmer zwischen ihrem Zimmer und dem ihres Vaters
vorgedrungen. Sie sah ihn nicht, aber sie hörte ihn hämmern. Welche
Informationen entlockte er den Rohren, indem er darauf herumhaute?
    »Tut mir leid«, sagte die
Frauenstimme, »aber Miss Felson scheint nicht da zu sein. Sind Sie sicher, daß
sie heute
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