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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede
Autoren: Anne Tyler
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noch etwas
anderes vor«, fuhr Delia ihn an. Die ganze Geschichte reichte jetzt, fand sie.
Sie hatte kein Spinatgläschen gekauft, keine Cornflakes und unzählige andere
Sachen auch nicht; alles einem wildfremden Mann zuliebe. Mit Schwung öffnete
sie den Kofferraum ihres Plymouth.
    »Oh, schon gut«, sagte Adrian.
»Was wir tun, ist, wir laden diese Lebensmittel sehr, sehr langsam ein, und bis
dahin sind sie weg. Sie hatten an der Kasse nicht viel: zwei Steaks, zwei
Kartoffeln, einen Kopf Salat und eine Schachtel Dinnermints. Das dauert nicht
lange.«
    Delia staunte über seine
Beobachtungsgabe. Sie beobachtete, wie er die Tüten in ihrem Kofferraum
verstaute, und dann war er fast eine Minute damit beschäftigt, ein kleines
Päckchen herumzurücken. Orzo stand darauf — komische, winzige Nudeln, die sie
im Regal schon oft gesehen, aber noch nie gekauft hatte. Sie sahen wie Reis
aus, warum dann nicht gleich Reis, nahrhafter war der sicher auch? Sie reichte
ihm die Tüte, die sie getragen hatte, und er schob sie mit größter Sorgfalt
zwischen die beiden anderen. »Sind sie immer noch nicht draußen?« fragte er.
    »Nein«, sagte sie und schaute
an ihm vorbei zum Supermarkt. »Hören Sie, Sie bekommen noch Geld von mir.«
    »Ein Geschenk des Hauses.«
    »Nein, wirklich, ich möchte es
Ihnen unbedingt zurückgeben. Nur, ich hätte per Scheck bezahlt, weil ich kein
Bargeld dabeihabe. Nehmen Sie einen Scheck? Ich kann Ihnen meinen Führerschein
zeigen«, sagte sie.
    Er lachte.
    »Im Ernst«, sagte sie. »Wenn es
Ihnen nichts ausmacht, einen — «
    Dann tauchten Rosemary und
Skipper aus dem Supermarkt auf. Skipper trug eine einzelne große
Packpapiertüte. Rosemary trug lediglich ein sandwich-großes Täschchen an einer
glitzernden Goldkette.
    »Sind sie da?« fragte Adrian.
    »Ja.«
    Er beugte sich tief über den
Kofferraum und schob die eingekauften Lebensmittel hin und her. »Sagen Sie
Bescheid, wenn sie weg sind«, sagte er.
    Das Paar ging zu einem flachen
roten Sportwagen. Rosemary war mindestens so groß wie Skipper, wenn nicht
größer, und sie hatte den lässigen, achtlosen Gang eines Fotomodells auf dem
Laufsteg. Wäre sie vor die Wand gelaufen, hätte sie sich zuerst die Hüften
gerammt.
    »Sehen sie in unsere Richtung?«
fragte Adrian.
    »Ich glaube nicht, daß sie uns
sehen.«
    Skipper öffnete die Tür an der
Beifahrerseite, und Rosemary machte sich klein und ward nicht mehr gesehen. Er
reichte ihr die Tüte mit den Lebensmitteln und schloß die Tür, schritt zur
Fahrerseite, wand sich in den Wagen und ließ den Motor an. Erst dann schlug er
seine Tür zu. Der kleine Wagen fauchte laut auf, kreiselte beinah und sauste
davon.
    »Weg sind sie«, sagte Delia.
    Adrian schloß den Kofferraum.
Er schien jetzt älter. Zum erstenmal bemerkte Delia die spröden Linien um seine
Mundwinkel.
    »Na ja«, sagte sie traurig.
    Es schien unpassend, jetzt
wieder das Thema Geld anzuschneiden, doch sie mußte es sagen: »Übrigens, der
Scheck...«
    »Bitte. Das bin ich Ihnen schuldig«,
sagte er. »Eigentlich schulde ich Ihnen viel mehr. Danke, daß Sie das mit mir
durchgestanden haben.«
    »Das war doch gar nichts«,
erklärte sie. »Ich wünschte nur, Sie hätten, oh, jemand Passenderes getroffen.«
    »Passenderes?«
    »Jemanden... verstehen Sie«,
sagte sie, »der so attraktiv wie Ihre Frau ist.«
    »Wie bitte?« fragte er. »Sie
sind doch so hübsch! Sie haben so ein kleines Gesicht, wie eine Blume.«
    Sie spürte, wie sie rot wurde.
Sicher glaubte er, sie wäre hinter Komplimenten her. »Jedenfalls, ich bin froh,
daß ich aushelfen konnte«, sagte sie. Sie machte einen Schritt zurück und
öffnete die Wagentür. »Also, Wiedersehen.«
    »Auf Wiedersehen und nochmals
vielen Dank.«
    Als wäre er ihr Gastgeber,
stand er da, als sie den Wagen aus der Parklücke rangierte. Natürlich brauchte
sie endlos, weil er zusah. Sie schlug das Lenkrad zu scharf ein, und der
Keilriemen quietschte unangebracht. Aber schließlich war das Auto aus der
Lücke, und sie rollte davon. Ihr Rückspiegel zeigte Adrian, wie er die Hand zum
Abschied hob und erst senkte, als sie an der Ampel nach Süden abbog.
    Auf halbem Wege fiel ihr ein:
Sie hätte ihm seinen Einkauf geben sollen. Du meine Güte, die vielen Nudeln,
die kleinen Orzodinger, und jetzt fiel ihr auch die Brühe wieder ein. Consommé
Madrilène; sie wußte nicht einmal, wie das richtig ausgesprochen wurde. Sie
fuhr mit Dingen auf und davon, die jemand anderem gehörten, und
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