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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede
Autoren: Anne Tyler
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Flammeri«,
wiederholte Delia schwach. Was immer ein Flammeri war, es klang, wie sie sich
gerade fühlte: mager, farb- und geschmacklos; sie mit ihren Sommersprossen und
den krausen braunen Locken, ihrem rosa Rüschenkleid mit dem braven runden
Krägelchen.
    Sie hatten die Milch- und
Käsegondel und den Gang mit den Säften ausgelassen, wo Delia eigentlich
verschiedenes besorgen wollte, doch darauf wies sie nicht hin, weil dieser
Adrian immer noch redete. »Deinen Flammeri und dann dein, na was, dein Fleisch
und Gemüse und da-da-da...«
    Wie er seine Stimme
ausblendete, erinnerte sie an die alten Schlager, in denen sich die Sänger am
Ende wie abwesend vom Mikrofon entfernten. »Sieht sie hinter uns her?«
flüsterte er. »Schauen Sie mal nach. Aber nicht so auffällig.«
    Delia blinzelte hinüber,
heuchelte brennendes Interesse für den vorgekochten Reis im Sonderangebot.
Beide, die Ehefrau und der Freund, kehrten ihr den Rücken zu, doch die Pose
wirkte unecht. Kein Mensch konnte Rose-Kartoffeln derartig viel Faszination
abgewinnen. »Also, mental guckt sie«, sagte Delia leise. Sie drehte sich
um und stellte fest, daß sich ihr Einkaufswagen mit Pasta füllte. Eiernudeln,
Rotini, Linguine — Adrian warf die Packungen wahllos hinein. »Also, entschuldigen
Sie...« sagte sie.
    »Oh, Verzeihung«, erschrak er.
Er stopfte seine Hände in die Hosentaschen und ging mit großen Schritten davon.
Delia folgte, schob ihren Wagen sehr langsam; vielleicht wollte er jetzt, daß
sie jeder wieder ihrer Wege gingen. Doch am Ende des Gangs machte er halt und
begutachtete, bis sie ihn einholte, eine Reihe Raviolibüchsen. »Der Freund
heißt Skipper«, sagte er. »Er ist ihr Steuerberater.«
    »Steuerberater!« sagte Delia.
So sah er nicht aus.
    »Ein Halbdutzendmal wenigstens
ist er bei uns zu Hause gewesen. Hat in unserem ureigenen Wohnzimmer gesessen
und ihre Steuern durchgekaut. Rosemary hat einen Party Service: ›Feine
Gesellschaft.‹ Haha. ›Sündhaft delikate Feinkost für jeden Anlaß.‹ Kaum, daß
ich es begriffen hatte, ist sie zu ihm gezogen. Sie rief an, sie brauche nur
ein paar Wochen für sich, doch ich habe ganz genau gehört, wie er im
Hintergrund soufflierte.«
    »Oh, wie schrecklich«, sagte
Delia.
    Eine Frau mit einem Baby im Einkaufswagen
schob sich zwischen sie und angelte nach einer Dose Käsemakkaroni. Delia machte
ihr einen Schritt Platz.
    »Wenn es Ihnen nicht zu lästig
ist«, sagte Adrian, als die Frau fort war, »bleibe ich einfach bei Ihnen und
Sie kaufen weiter ein. Es ist doch verdächtig, wenn ich jetzt allein
hinausgehe. Hoffentlich macht Ihnen das nichts aus.«
    Ausmachen? Es war das
Interessanteste, das ihr seit Jahren passiert war. »Kein bißchen«, antwortete
sie. Sie schob den Wagen nach Gang vier. Adrian spazierte neben ihr.
    »Übrigens, ich heiße Adrian
Bly-Brice«, sagte er. »Es wäre schon besser, wenn ich Ihren Namen auch wüßte.«
    »Ich heiße Delia Grinstead«,
sagte sie zu ihm. Sie griff ein Glas getrockneter Minze aus dem Gewürzregal.
    »Ich glaube, eine Delia ist mir
noch nie über den Weg gelaufen.«
    »Cordelia, eigentlich. Mein
Vater hat mich so genannt.«
    »Sind Sie eine?«
    »Eine was?«
    »Sind Sie Vaters Cordelia?«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie.
»Er ist tot.«
    »Oh, das tut mir leid.«
    »Letzten Winter ist er
gestorben«, sagte sie.
    Lächerlich, ihr kamen die
Tränen. Diese Unterhaltung lief irgendwie in die falsche Richtung. Sie reckte
sich und schob den Wagen den Gang hinunter, steuerte ihn um ein älteres Ehepaar
herum, das sich nicht einigen konnte, welchen Salzersatz es kaufen sollte.
»Jedenfalls«, sagte sie, »wurde sofort Delia daraus. Wie in dem Lied.«
    »Welchem Lied?«
    »Oh... ach, Delia is gone, one
more round... über die Delia, die auf und davon geht. Mein Vater hat mich damit
oft in den Schlaf gesungen.«
    »Nie gehört«, sagte Adrian.
    Der Lautsprecher spielte »By
the Time I Get to Phoenix«, wetteiferte mit dem väterlichen Brummbaß in ihrem
Kopf, der »Delias’s Gone« sang. »Jedenfalls!« sagte sie noch einmal beherzt.
    Sie nahmen den nächsten Gang in
Angriff: links Müsli, Popcorn und Süßigkeiten rechts. Delia brauchte
Cornflakes, doch Cornflakes sahen gleich so nach Familie aus, also ließ sie es.
(Woraus bestand ein Flammeri?) Adrian sah gedankenverloren auf Karameltüten und
Rumkugeln. Seine Haut war leicht gebräunt, wie manchmal bei hellhaarigen
Männern, und fast porenlos. Sicher rasierte er sich höchstens jeden
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